Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Görres, Joseph:] [Rezension zu:] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. v. Arnim u. C. Brentano. In: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur, Fünfte Abtheilung. Philologie, Historie, schöne Literatur und Kunst, Jg. 2 (1809), Bd. 1, Heft 5, S. 222‒237 und Jg. 3 (1810), Bd. 2, Heft 9, S. 30‒52.

Bild:
<< vorherige Seite

tief ist ein Bettchen schon bereitet; der Tod Blumist im Erndtelied: soll ich denn sterben, des Knaben Klage um frühes Scheiden; Trutz dem Tod geboten von leichtem Blut; Todesahndung, wirre Phantasie, wehmüthig aus trübem Auge blickend; das andere Land, weite Aussicht aus dem engen Haus; Hans Sachsens Tod traumweise in Albrecht Dürers Manier. Dem Scheiden folgt die Todtenklage; aber nimmer mögen die Churfürstin von Sachsen und die Pfalzgräfin die geliebten Todten verklagen; lebenssatt aber legt Philipp von Hessen das müde Haupt dahin.

Es neigt das reiche Spiel, das wir an uns vorübergehen sahen, zum Ende; wir werfen noch einen Blick auf die Bühne hin, auf der es spielt. So weit deutsche Zunge germanische Sprache spricht, sind diese Lieder heimisch, dem größten Theile nach in der herrschenden Stammsprache gedichtet, aber keineswegs ausschließend irgend eine andere Mundart. Jener Stamm, der auf der großen europäischen Höhe sich angesiedelt, hat eigenes Jdiom sich zugebildet, und wie alle Sprachen in den Gebirgen sich am treuesten aufbehalten, weil sie gleichsam ihre Wurzeln tief in die Felsenspalten hineingeschlagen; so hat auch dieser Dialect durch viele Jahrhunderte in ursprünglicher Einfalt und seinem Schallmeyenaccent sich bewahrt, während die Ebene Sprachformen wie alle Formen leicht gewechselt. Reichlich hat dieß Volk zur großen Lese beygetragen, Milch und Butter, gelb wie Gold, Kränze von Alpenblumen, Liebe und alles, was die Armuth geben kann. Dusle und Babeli, gar einfältiger Liebeshandel; wers Lieben erdacht, Sängers Abschied von Feinsliebchen herzlich und treu; den Dritten thu ich nicht nennen, Wiederhall alten Gesanges von den Schweizerbergen; des Hirten Einsamkeit, lauter Ruf der Hirten von Alp zu Alp; Schweizerlied, musizirend in hellen Worten: Emmenthaler Kühreihen, Liebsgeflüster im Odenflug; Einquartirung, Bauernfluch zum Willkommen den hungrigen Gesellen; der König aus Mayland, Bauernroman von König und Königstöchterlein gespielt;

tief ist ein Bettchen schon bereitet; der Tod Blumist im Erndtelied: soll ich denn sterben, des Knaben Klage um fruͤhes Scheiden; Trutz dem Tod geboten von leichtem Blut; Todesahndung, wirre Phantasie, wehmuͤthig aus truͤbem Auge blickend; das andere Land, weite Aussicht aus dem engen Haus; Hans Sachsens Tod traumweise in Albrecht Duͤrers Manier. Dem Scheiden folgt die Todtenklage; aber nimmer moͤgen die Churfuͤrstin von Sachsen und die Pfalzgraͤfin die geliebten Todten verklagen; lebenssatt aber legt Philipp von Hessen das muͤde Haupt dahin.

Es neigt das reiche Spiel, das wir an uns voruͤbergehen sahen, zum Ende; wir werfen noch einen Blick auf die Buͤhne hin, auf der es spielt. So weit deutsche Zunge germanische Sprache spricht, sind diese Lieder heimisch, dem groͤßten Theile nach in der herrschenden Stammsprache gedichtet, aber keineswegs ausschließend irgend eine andere Mundart. Jener Stamm, der auf der großen europaͤischen Hoͤhe sich angesiedelt, hat eigenes Jdiom sich zugebildet, und wie alle Sprachen in den Gebirgen sich am treuesten aufbehalten, weil sie gleichsam ihre Wurzeln tief in die Felsenspalten hineingeschlagen; so hat auch dieser Dialect durch viele Jahrhunderte in urspruͤnglicher Einfalt und seinem Schallmeyenaccent sich bewahrt, waͤhrend die Ebene Sprachformen wie alle Formen leicht gewechselt. Reichlich hat dieß Volk zur großen Lese beygetragen, Milch und Butter, gelb wie Gold, Kraͤnze von Alpenblumen, Liebe und alles, was die Armuth geben kann. Dusle und Babeli, gar einfaͤltiger Liebeshandel; wers Lieben erdacht, Saͤngers Abschied von Feinsliebchen herzlich und treu; den Dritten thu ich nicht nennen, Wiederhall alten Gesanges von den Schweizerbergen; des Hirten Einsamkeit, lauter Ruf der Hirten von Alp zu Alp; Schweizerlied, musizirend in hellen Worten: Emmenthaler Kuͤhreihen, Liebsgefluͤster im Odenflug; Einquartirung, Bauernfluch zum Willkommen den hungrigen Gesellen; der Koͤnig aus Mayland, Bauernroman von Koͤnig und Koͤnigstoͤchterlein gespielt;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0029" n="41"/>
tief ist ein Bettchen schon bereitet; der Tod Blumist im <hi rendition="#g">Erndtelied: soll ich denn sterben</hi>, des Knaben Klage um fru&#x0364;hes Scheiden; <hi rendition="#g">Trutz dem Tod</hi> geboten von leichtem Blut; <hi rendition="#g">Todesahndung</hi>, wirre Phantasie, wehmu&#x0364;thig aus tru&#x0364;bem Auge  blickend; das <hi rendition="#g">andere Land</hi>, weite Aussicht aus dem engen Haus; <hi rendition="#g">Hans Sachsens Tod</hi> traumweise in Albrecht Du&#x0364;rers Manier. Dem Scheiden folgt die Todtenklage; aber nimmer  mo&#x0364;gen die <hi rendition="#g">Churfu&#x0364;rstin von Sachsen</hi> und die <hi rendition="#g">Pfalzgra&#x0364;fin</hi> die geliebten Todten verklagen;  lebenssatt aber legt <hi rendition="#g">Philipp von Hessen</hi> das mu&#x0364;de Haupt dahin.</p><lb/>
        <p>Es neigt das reiche Spiel, das wir an uns voru&#x0364;bergehen sahen, zum Ende; wir werfen  noch einen Blick auf die Bu&#x0364;hne hin, auf der es spielt. So weit deutsche Zunge  germanische Sprache spricht, sind diese Lieder heimisch, dem gro&#x0364;ßten Theile nach  in der herrschenden Stammsprache gedichtet, aber keineswegs ausschließend irgend eine  andere Mundart. Jener Stamm, der auf der großen europa&#x0364;ischen Ho&#x0364;he sich angesiedelt,  hat eigenes Jdiom sich zugebildet, und wie alle Sprachen in den Gebirgen sich am  treuesten aufbehalten, weil sie gleichsam ihre Wurzeln tief in die Felsenspalten  hineingeschlagen; so hat auch dieser Dialect durch viele Jahrhunderte in urspru&#x0364;nglicher  Einfalt und seinem Schallmeyenaccent sich bewahrt, wa&#x0364;hrend die Ebene Sprachformen wie  alle Formen leicht gewechselt. Reichlich hat dieß Volk zur großen Lese beygetragen,  Milch und Butter, gelb wie Gold, Kra&#x0364;nze von Alpenblumen, Liebe und alles, was die  Armuth geben kann. <hi rendition="#g">Dusle und Babeli</hi>, gar einfa&#x0364;ltiger Liebeshandel; <hi rendition="#g">wers Lieben erdacht</hi>,  Sa&#x0364;ngers Abschied von Feinsliebchen herzlich und treu; <hi rendition="#g">den Dritten thu ich nicht nennen</hi>,  Wiederhall alten Gesanges von den Schweizerbergen; <hi rendition="#g">des Hirten Einsamkeit</hi>, lauter Ruf der Hirten von Alp zu Alp; <hi rendition="#g">Schweizerlied</hi>, musizirend in hellen Worten: <hi rendition="#g">Emmenthaler Ku&#x0364;hreihen</hi>,  Liebsgeflu&#x0364;ster im Odenflug; <hi rendition="#g">Einquartirun</hi>g, Bauernfluch zum Willkommen den hungrigen Gesellen;  der <hi rendition="#g">Ko&#x0364;nig aus Mayland</hi>, Bauernroman von Ko&#x0364;nig und Ko&#x0364;nigsto&#x0364;chterlein gespielt;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0029] tief ist ein Bettchen schon bereitet; der Tod Blumist im Erndtelied: soll ich denn sterben, des Knaben Klage um fruͤhes Scheiden; Trutz dem Tod geboten von leichtem Blut; Todesahndung, wirre Phantasie, wehmuͤthig aus truͤbem Auge blickend; das andere Land, weite Aussicht aus dem engen Haus; Hans Sachsens Tod traumweise in Albrecht Duͤrers Manier. Dem Scheiden folgt die Todtenklage; aber nimmer moͤgen die Churfuͤrstin von Sachsen und die Pfalzgraͤfin die geliebten Todten verklagen; lebenssatt aber legt Philipp von Hessen das muͤde Haupt dahin. Es neigt das reiche Spiel, das wir an uns voruͤbergehen sahen, zum Ende; wir werfen noch einen Blick auf die Buͤhne hin, auf der es spielt. So weit deutsche Zunge germanische Sprache spricht, sind diese Lieder heimisch, dem groͤßten Theile nach in der herrschenden Stammsprache gedichtet, aber keineswegs ausschließend irgend eine andere Mundart. Jener Stamm, der auf der großen europaͤischen Hoͤhe sich angesiedelt, hat eigenes Jdiom sich zugebildet, und wie alle Sprachen in den Gebirgen sich am treuesten aufbehalten, weil sie gleichsam ihre Wurzeln tief in die Felsenspalten hineingeschlagen; so hat auch dieser Dialect durch viele Jahrhunderte in urspruͤnglicher Einfalt und seinem Schallmeyenaccent sich bewahrt, waͤhrend die Ebene Sprachformen wie alle Formen leicht gewechselt. Reichlich hat dieß Volk zur großen Lese beygetragen, Milch und Butter, gelb wie Gold, Kraͤnze von Alpenblumen, Liebe und alles, was die Armuth geben kann. Dusle und Babeli, gar einfaͤltiger Liebeshandel; wers Lieben erdacht, Saͤngers Abschied von Feinsliebchen herzlich und treu; den Dritten thu ich nicht nennen, Wiederhall alten Gesanges von den Schweizerbergen; des Hirten Einsamkeit, lauter Ruf der Hirten von Alp zu Alp; Schweizerlied, musizirend in hellen Worten: Emmenthaler Kuͤhreihen, Liebsgefluͤster im Odenflug; Einquartirung, Bauernfluch zum Willkommen den hungrigen Gesellen; der Koͤnig aus Mayland, Bauernroman von Koͤnig und Koͤnigstoͤchterlein gespielt;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2018-02-08T18:42:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rudolf Brandmeyer: Herausgeber
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-02-08T18:42:42Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_wunderhorn_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_wunderhorn_1809/29
Zitationshilfe: [Görres, Joseph:] [Rezension zu:] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. v. Arnim u. C. Brentano. In: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur, Fünfte Abtheilung. Philologie, Historie, schöne Literatur und Kunst, Jg. 2 (1809), Bd. 1, Heft 5, S. 222‒237 und Jg. 3 (1810), Bd. 2, Heft 9, S. 30‒52, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_wunderhorn_1809/29>, abgerufen am 09.11.2024.