Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite
28.
Die edelsten Geyer flogen daher,
Sie schritten von Leiche zu Leiche,
Und von dem reichlich bereiteten Mahle
Nicht in die Höhe konnten sie steigen.

Wenig bedarf es, um sich über dieses
Gedicht zu verständigen. Die Grösse des
Charakters, der Ernst, die rechtmässige
Grausamkeit des Handelns sind hier eigent-
lich das Mark der Poesie. Die zwey ersten
Strophen geben die klare Exposition, in der
dritten und vierten spricht der Todte und
legt seinem Verwandten die Last auf ihn
zu rächen. Die sechste und siebente schliesst
sich dem Sinne nach an die ersten, sie ste-
hen lyrisch versetzt, die siebente bis drey-
zehnte erhebt den Erschlagenen, dass man
die Grösse seines Verlustes empfinde. Die
vierzehnte bis siebzehnte Strophe schildert
die Expedition gegen die Feinde; die acht-
zehnte führt wieder rückwärts, die neun-
zehnte und zwanzigste könnte gleich nach
den beiden ersten stehen. Die einundzwan-
stigste und zweiundzwanzigste könnte nach

17 *
28.
Die edelsten Geyer flogen daher,
Sie schritten von Leiche zu Leiche,
Und von dem reichlich bereiteten Mahle
Nicht in die Höhe konnten sie steigen.

Wenig bedarf es, um sich über dieses
Gedicht zu verständigen. Die Gröſse des
Charakters, der Ernst, die rechtmäſsige
Grausamkeit des Handelns sind hier eigent-
lich das Mark der Poesie. Die zwey ersten
Strophen geben die klare Exposition, in der
dritten und vierten spricht der Todte und
legt seinem Verwandten die Last auf ihn
zu rächen. Die sechste und siebente schlieſst
sich dem Sinne nach an die ersten, sie ste-
hen lyrisch versetzt, die siebente bis drey-
zehnte erhebt den Erschlagenen, daſs man
die Gröſse seines Verlustes empfinde. Die
vierzehnte bis siebzehnte Strophe schildert
die Expedition gegen die Feinde; die acht-
zehnte führt wieder rückwärts, die neun-
zehnte und zwanzigste könnte gleich nach
den beiden ersten stehen. Die einundzwan-
stigste und zweiundzwanzigste könnte nach

17 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0269" n="259"/>
          <lg type="poem">
            <head>28.</head><lb/>
            <l>Die edelsten Geyer flogen daher,</l><lb/>
            <l>Sie schritten von Leiche zu Leiche,</l><lb/>
            <l>Und von dem reichlich bereiteten Mahle</l><lb/>
            <l>Nicht in die Höhe konnten sie steigen.</l>
          </lg><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Wenig bedarf es, um sich über dieses<lb/>
Gedicht zu verständigen. Die Grö&#x017F;se des<lb/>
Charakters, der Ernst, die rechtmä&#x017F;sige<lb/>
Grausamkeit des Handelns sind hier eigent-<lb/>
lich das Mark der Poesie. Die zwey ersten<lb/>
Strophen geben die klare Exposition, in der<lb/>
dritten und vierten spricht der Todte und<lb/>
legt seinem Verwandten die Last auf ihn<lb/>
zu rächen. Die sechste und siebente schlie&#x017F;st<lb/>
sich dem Sinne nach an die ersten, sie ste-<lb/>
hen lyrisch versetzt, die siebente bis drey-<lb/>
zehnte erhebt den Erschlagenen, da&#x017F;s man<lb/>
die Grö&#x017F;se seines Verlustes empfinde. Die<lb/>
vierzehnte bis siebzehnte Strophe schildert<lb/>
die Expedition gegen die Feinde; die acht-<lb/>
zehnte führt wieder rückwärts, die neun-<lb/>
zehnte und zwanzigste könnte gleich nach<lb/>
den beiden ersten stehen. Die einundzwan-<lb/>
stigste und zweiundzwanzigste könnte nach<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">17 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[259/0269] 28. Die edelsten Geyer flogen daher, Sie schritten von Leiche zu Leiche, Und von dem reichlich bereiteten Mahle Nicht in die Höhe konnten sie steigen. Wenig bedarf es, um sich über dieses Gedicht zu verständigen. Die Gröſse des Charakters, der Ernst, die rechtmäſsige Grausamkeit des Handelns sind hier eigent- lich das Mark der Poesie. Die zwey ersten Strophen geben die klare Exposition, in der dritten und vierten spricht der Todte und legt seinem Verwandten die Last auf ihn zu rächen. Die sechste und siebente schlieſst sich dem Sinne nach an die ersten, sie ste- hen lyrisch versetzt, die siebente bis drey- zehnte erhebt den Erschlagenen, daſs man die Gröſse seines Verlustes empfinde. Die vierzehnte bis siebzehnte Strophe schildert die Expedition gegen die Feinde; die acht- zehnte führt wieder rückwärts, die neun- zehnte und zwanzigste könnte gleich nach den beiden ersten stehen. Die einundzwan- stigste und zweiundzwanzigste könnte nach 17 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/269
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/269>, abgerufen am 22.12.2024.