Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

der Mathematik huldigen, und so waren
beide wohl empfohlen und versorgt.

Die Geschäftsführung sodann unter
despotischen Regenten blieb, auch bey
grösster Anfmerksamkeit und Genauigkeit,
immer gefahrvoll, und ein Canzleyver-
wandter bedurfte so viel Muth sich in den
Divan zu bewegen als ein Held zur Schlacht;
einer war nicht sicherer seinen Heerd wieder
zu sehn als der andere.

Reisende Handelsleute brachten immer
neuen Zuwachs an Schätzen und Kenntnis-
sen herbey, das Innere des Landes, vom
Euphrat bis zum Indus, bot eine eigne Welt
von Gegenständen dar. Eine Masse wider
einander streitender Völkerschaften, vertrie-
bene, vertreibende, Herrscher, stellten
überraschenden Wechsel von Sieg zur Knecht-
schaft, von Obergewalt zur Dienstbarkeit
nur gar zu oft vor Augen, und liessen geist-
reiche Männer, über die traumartige Ver-
gänglichkeit irdischer Dinge, die traurigsten
Betrachtungen anstellen.

Dieses alles und noch weit mehr, im
weitesten Umfange unendlicher Zersplitte-
rung und augenblicklicher Wiederherstel-

der Mathematik huldigen, und so waren
beide wohl empfohlen und versorgt.

Die Geschäftsführung sodann unter
despotischen Regenten blieb, auch bey
gröſster Anfmerksamkeit und Genauigkeit,
immer gefahrvoll, und ein Canzleyver-
wandter bedurfte so viel Muth sich in den
Divan zu bewegen als ein Held zur Schlacht;
einer war nicht sicherer seinen Heerd wieder
zu sehn als der andere.

Reisende Handelsleute brachten immer
neuen Zuwachs an Schätzen und Kenntnis-
sen herbey, das Innere des Landes, vom
Euphrat bis zum Indus, bot eine eigne Welt
von Gegenständen dar. Eine Masse wider
einander streitender Völkerschaften, vertrie-
bene, vertreibende, Herrscher, stellten
überraschenden Wechsel von Sieg zur Knecht-
schaft, von Obergewalt zur Dienstbarkeit
nur gar zu oft vor Augen, und lieſsen geist-
reiche Männer, über die traumartige Ver-
gänglichkeit irdischer Dinge, die traurigsten
Betrachtungen anstellen.

Dieses alles und noch weit mehr, im
weitesten Umfange unendlicher Zersplitte-
rung und augenblicklicher Wiederherstel-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0307" n="297"/>
der Mathematik huldigen, und so waren<lb/>
beide wohl empfohlen und versorgt.</p><lb/>
          <p>Die Geschäftsführung sodann unter<lb/>
despotischen Regenten blieb, auch bey<lb/>
grö&#x017F;ster Anfmerksamkeit und Genauigkeit,<lb/>
immer gefahrvoll, und ein Canzleyver-<lb/>
wandter bedurfte so viel Muth sich in den<lb/>
Divan zu bewegen als ein Held zur Schlacht;<lb/>
einer war nicht sicherer seinen Heerd wieder<lb/>
zu sehn als der andere.</p><lb/>
          <p>Reisende Handelsleute brachten immer<lb/>
neuen Zuwachs an Schätzen und Kenntnis-<lb/>
sen herbey, das Innere des Landes, vom<lb/>
Euphrat bis zum Indus, bot eine eigne Welt<lb/>
von Gegenständen dar. Eine Masse wider<lb/>
einander streitender Völkerschaften, vertrie-<lb/>
bene, vertreibende, Herrscher, stellten<lb/>
überraschenden Wechsel von Sieg zur Knecht-<lb/>
schaft, von Obergewalt zur Dienstbarkeit<lb/>
nur gar zu oft vor Augen, und lie&#x017F;sen geist-<lb/>
reiche Männer, über die traumartige Ver-<lb/>
gänglichkeit irdischer Dinge, die traurigsten<lb/>
Betrachtungen anstellen.</p><lb/>
          <p>Dieses alles und noch weit mehr, im<lb/>
weitesten Umfange unendlicher Zersplitte-<lb/>
rung und augenblicklicher Wiederherstel-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297/0307] der Mathematik huldigen, und so waren beide wohl empfohlen und versorgt. Die Geschäftsführung sodann unter despotischen Regenten blieb, auch bey gröſster Anfmerksamkeit und Genauigkeit, immer gefahrvoll, und ein Canzleyver- wandter bedurfte so viel Muth sich in den Divan zu bewegen als ein Held zur Schlacht; einer war nicht sicherer seinen Heerd wieder zu sehn als der andere. Reisende Handelsleute brachten immer neuen Zuwachs an Schätzen und Kenntnis- sen herbey, das Innere des Landes, vom Euphrat bis zum Indus, bot eine eigne Welt von Gegenständen dar. Eine Masse wider einander streitender Völkerschaften, vertrie- bene, vertreibende, Herrscher, stellten überraschenden Wechsel von Sieg zur Knecht- schaft, von Obergewalt zur Dienstbarkeit nur gar zu oft vor Augen, und lieſsen geist- reiche Männer, über die traumartige Ver- gänglichkeit irdischer Dinge, die traurigsten Betrachtungen anstellen. Dieses alles und noch weit mehr, im weitesten Umfange unendlicher Zersplitte- rung und augenblicklicher Wiederherstel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/307
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/307>, abgerufen am 22.12.2024.