zug mit Anerkennung, ja vielleicht mit Neid zu betrachten! Jeder Umstehende denkt nun an sein eigen Gebiss! Schöne Zähne sind überall, besonders auch im Morgen- land, als eine Gabe Gottes hoch angenehm. Ein faulendes Geschöpf wird, durch das Vollkommene was von ihm übrig bleibt, ein Gegenstand der Bewunderung und des frömmsten Nachdenkens.
Nicht eben so klar und eindringlich wird uns das vortreffliche Gleichniss, womit die Parabel schliesst, wir tragen daher Sorge dasselbe anschaulich zu machen.
In Gegenden, wo es an Kalklagern ge- bricht, werden Muschelschaalen zu Berei- tung eines höchst nöthigen Baumaterials an- gewendet und, zwischen dürres Reisig ge- schichtet, von der erregten Flamme durch- geglüht. Der Zuschauende kann sich das Gefühl nicht nehmen, dass diese Wesen, lebendig im Meere sich nährend und wach- send, noch kurz vorher der allgemeinen Lust des Daseyns nach ihrer Weise genossen und jetzt, nicht etwa verbrennen, sondern durch- geglüht, ihre völlige Gestalt behalten, wenn gleich alles Lebendige aus ihnen weggetrie-
zug mit Anerkennung, ja vielleicht mit Neid zu betrachten! Jeder Umstehende denkt nun an sein eigen Gebiſs! Schöne Zähne sind überall, besonders auch im Morgen- land, als eine Gabe Gottes hoch angenehm. Ein faulendes Geschöpf wird, durch das Vollkommene was von ihm übrig bleibt, ein Gegenstand der Bewunderung und des frömmsten Nachdenkens.
Nicht eben so klar und eindringlich wird uns das vortreffliche Gleichniſs, womit die Parabel schlieſst, wir tragen daher Sorge dasselbe anschaulich zu machen.
In Gegenden, wo es an Kalklagern ge- bricht, werden Muschelschaalen zu Berei- tung eines höchst nöthigen Baumaterials an- gewendet und, zwischen dürres Reisig ge- schichtet, von der erregten Flamme durch- geglüht. Der Zuschauende kann sich das Gefühl nicht nehmen, daſs diese Wesen, lebendig im Meere sich nährend und wach- send, noch kurz vorher der allgemeinen Lust des Daseyns nach ihrer Weise genossen und jetzt, nicht etwa verbrennen, sondern durch- geglüht, ihre völlige Gestalt behalten, wenn gleich alles Lebendige aus ihnen weggetrie-
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zug mit Anerkennung, ja vielleicht mit Neid
zu betrachten! Jeder Umstehende denkt
nun an sein eigen Gebiſs! Schöne Zähne
sind überall, besonders auch im Morgen-
land, als eine Gabe Gottes hoch angenehm.
Ein faulendes Geschöpf wird, durch das
Vollkommene was von ihm übrig bleibt,
ein Gegenstand der Bewunderung und des
frömmsten Nachdenkens.
Nicht eben so klar und eindringlich
wird uns das vortreffliche Gleichniſs, womit
die Parabel schlieſst, wir tragen daher Sorge
dasselbe anschaulich zu machen.
In Gegenden, wo es an Kalklagern ge-
bricht, werden Muschelschaalen zu Berei-
tung eines höchst nöthigen Baumaterials an-
gewendet und, zwischen dürres Reisig ge-
schichtet, von der erregten Flamme durch-
geglüht. Der Zuschauende kann sich das
Gefühl nicht nehmen, daſs diese Wesen,
lebendig im Meere sich nährend und wach-
send, noch kurz vorher der allgemeinen Lust
des Daseyns nach ihrer Weise genossen und
jetzt, nicht etwa verbrennen, sondern durch-
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/338>, abgerufen am 22.12.2024.
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