was ich für ein Landsmann sey? und als ich antwortete: von Schiras, fragte er: ob ich nicht etwas von Saadis Schriften auswendig könnte, da ihm die persische Sprache sehr wohl gefalle?
Ich antwortete: gleichwie dein Ge- müth aus Liebe gegen die reine Sprache sich der Grammatik ergeben hat, also ist auch mein Herz der Liebe zu dir völlig ergeben, so dass deiner Natur Bildniss das Bildniss meines Verstandes entraubet. Er betrachtete mich mit Aufmerksamkeit, als wollt' er forschen, ob das was ich sagte Worte des Dichters, oder meine eignen Gefühle seyen; ich aber fuhr fort: du hast das Herz eines Liebhabers in dein Netz gefangen, wie Seidon. Wir gingen gerne mit dir um, aber du bist gegen uns, wie Seidon gegen Amron, abgeneigt und feind- lich. Er aber antwortete mir mit einiger bescheidenen Verlegenheit in Versen aus meinen eignen Gedichten und ich hatte den Vortheil ihm auf eben die Weise das allerschönste sagen zu können, und so lebten wir einige Tage in anmuthigen Un- terhaltungen. Als aber der Hof sich wie-
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was ich für ein Landsmann sey? und als ich antwortete: von Schiras, fragte er: ob ich nicht etwas von Saadis Schriften auswendig könnte, da ihm die persische Sprache sehr wohl gefalle?
Ich antwortete: gleichwie dein Ge- müth aus Liebe gegen die reine Sprache sich der Grammatik ergeben hat, also ist auch mein Herz der Liebe zu dir völlig ergeben, so daſs deiner Natur Bildniſs das Bildniſs meines Verstandes entraubet. Er betrachtete mich mit Aufmerksamkeit, als wollt’ er forschen, ob das was ich sagte Worte des Dichters, oder meine eignen Gefühle seyen; ich aber fuhr fort: du hast das Herz eines Liebhabers in dein Netz gefangen, wie Seidon. Wir gingen gerne mit dir um, aber du bist gegen uns, wie Seidon gegen Amron, abgeneigt und feind- lich. Er aber antwortete mir mit einiger bescheidenen Verlegenheit in Versen aus meinen eignen Gedichten und ich hatte den Vortheil ihm auf eben die Weise das allerschönste sagen zu können, und so lebten wir einige Tage in anmuthigen Un- terhaltungen. Als aber der Hof sich wie-
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[415[417]/0427]
was ich für ein Landsmann sey? und als
ich antwortete: von Schiras, fragte er:
ob ich nicht etwas von Saadis Schriften
auswendig könnte, da ihm die persische
Sprache sehr wohl gefalle?
Ich antwortete: gleichwie dein Ge-
müth aus Liebe gegen die reine Sprache
sich der Grammatik ergeben hat, also ist
auch mein Herz der Liebe zu dir völlig
ergeben, so daſs deiner Natur Bildniſs das
Bildniſs meines Verstandes entraubet. Er
betrachtete mich mit Aufmerksamkeit, als
wollt’ er forschen, ob das was ich sagte
Worte des Dichters, oder meine eignen
Gefühle seyen; ich aber fuhr fort: du hast
das Herz eines Liebhabers in dein Netz
gefangen, wie Seidon. Wir gingen gerne
mit dir um, aber du bist gegen uns, wie
Seidon gegen Amron, abgeneigt und feind-
lich. Er aber antwortete mir mit einiger
bescheidenen Verlegenheit in Versen aus
meinen eignen Gedichten und ich hatte
den Vortheil ihm auf eben die Weise
das allerschönste sagen zu können, und so
lebten wir einige Tage in anmuthigen Un-
terhaltungen. Als aber der Hof sich wie-
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 415[417]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/427>, abgerufen am 22.12.2024.
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