Versprechen, ihrem grossen Ahnherren von Gott unter so vielen Unwahrscheinlichkei- ten gethan, ist erfüllt; allein was hilft es ih- nen! Gerade diese grosse Zahl macht sie den Haupteinwohnern des Landes verdäch- tig. Man sucht sie zu quälen, zu ängsti- gen, zu belästigen, zu vertilgen, und so sehr sich auch ihre hartnäckige Natur da- gegen wehrt, so sehen sie doch ihr gänz- liches Verderben wohl voraus, als man sie, ein bisheriges freyes Hirtenvolk, nöthiget in und an ihren Grenzen mit eignen Hän- den feste Städte zu bauen, welche offenbar zu Zwing- und Kerkerplätzen für sie be- stimmt sind.
Hier fragen wir nun, ehe wir weiter gehen und uns durch sonderbar, ja unglück- lich redigirte Bücher mühsam durcharbei- ten; was wird uns denn als Grund, als Urstoff von den vier letzten Büchern Mo- sis übrig bleiben, da wir manches dabey zu erinnern, manches daraus zu entfernen für nöthig finden?
Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt
Versprechen, ihrem groſsen Ahnherren von Gott unter so vielen Unwahrscheinlichkei- ten gethan, ist erfüllt; allein was hilft es ih- nen! Gerade diese groſse Zahl macht sie den Haupteinwohnern des Landes verdäch- tig. Man sucht sie zu quälen, zu ängsti- gen, zu belästigen, zu vertilgen, und so sehr sich auch ihre hartnäckige Natur da- gegen wehrt, so sehen sie doch ihr gänz- liches Verderben wohl voraus, als man sie, ein bisheriges freyes Hirtenvolk, nöthiget in und an ihren Grenzen mit eignen Hän- den feste Städte zu bauen, welche offenbar zu Zwing- und Kerkerplätzen für sie be- stimmt sind.
Hier fragen wir nun, ehe wir weiter gehen und uns durch sonderbar, ja unglück- lich redigirte Bücher mühsam durcharbei- ten; was wird uns denn als Grund, als Urstoff von den vier letzten Büchern Mo- sis übrig bleiben, da wir manches dabey zu erinnern, manches daraus zu entfernen für nöthig finden?
Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0436"n="424[426]"/>
Versprechen, ihrem groſsen Ahnherren von<lb/>
Gott unter so vielen Unwahrscheinlichkei-<lb/>
ten gethan, ist erfüllt; allein was hilft es ih-<lb/>
nen! Gerade diese groſse Zahl macht sie<lb/>
den Haupteinwohnern des Landes verdäch-<lb/>
tig. Man sucht sie zu quälen, zu ängsti-<lb/>
gen, zu belästigen, zu vertilgen, und so<lb/>
sehr sich auch ihre hartnäckige Natur da-<lb/>
gegen wehrt, so sehen sie doch ihr gänz-<lb/>
liches Verderben wohl voraus, als man sie,<lb/>
ein bisheriges freyes Hirtenvolk, nöthiget<lb/>
in und an ihren Grenzen mit eignen Hän-<lb/>
den feste Städte zu bauen, welche offenbar<lb/>
zu Zwing- und Kerkerplätzen für sie be-<lb/>
stimmt sind.</p><lb/><p>Hier fragen wir nun, ehe wir weiter<lb/>
gehen und uns durch sonderbar, ja unglück-<lb/>
lich redigirte Bücher mühsam durcharbei-<lb/>
ten; was wird uns denn als Grund, als<lb/>
Urstoff von den vier letzten Büchern Mo-<lb/>
sis übrig bleiben, da wir manches dabey<lb/>
zu erinnern, manches daraus zu entfernen<lb/>
für nöthig finden?</p><lb/><p>Das eigentliche, einzige und tiefste<lb/>
Thema der Welt- und Menschengeschichte,<lb/>
dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[424[426]/0436]
Versprechen, ihrem groſsen Ahnherren von
Gott unter so vielen Unwahrscheinlichkei-
ten gethan, ist erfüllt; allein was hilft es ih-
nen! Gerade diese groſse Zahl macht sie
den Haupteinwohnern des Landes verdäch-
tig. Man sucht sie zu quälen, zu ängsti-
gen, zu belästigen, zu vertilgen, und so
sehr sich auch ihre hartnäckige Natur da-
gegen wehrt, so sehen sie doch ihr gänz-
liches Verderben wohl voraus, als man sie,
ein bisheriges freyes Hirtenvolk, nöthiget
in und an ihren Grenzen mit eignen Hän-
den feste Städte zu bauen, welche offenbar
zu Zwing- und Kerkerplätzen für sie be-
stimmt sind.
Hier fragen wir nun, ehe wir weiter
gehen und uns durch sonderbar, ja unglück-
lich redigirte Bücher mühsam durcharbei-
ten; was wird uns denn als Grund, als
Urstoff von den vier letzten Büchern Mo-
sis übrig bleiben, da wir manches dabey
zu erinnern, manches daraus zu entfernen
für nöthig finden?
Das eigentliche, einzige und tiefste
Thema der Welt- und Menschengeschichte,
dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 424[426]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/436>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.