Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

und wiederziehende Caravanen, mit den
Seinigen erhalten wird. Nach manchem
Zweifel und Zögern entschliesst er sich zu-
rückzukehren und des Volkes Retter zu
werden. Aaron, sein Bruder, kommt ihm
entgegen, und nun erfährt er, dass die
Gährung im Volke aufs höchste gestiegen
sey. Jetzt dürfen es beide Brüder wagen,
sich als Repräsentanten vor den König zu
stellen. Allein dieser zeigt sich nichts we-
niger als geneigt, eine grosse Anzahl Men-
schen, die sich seit Jahrhunderten in sei-
nem Lande, aus einem Hirtenvolk, zum Acker-
bau, zu Handwerken und Künsten gebildet,
sich mit seinen Unterthanen vermischt ha-
ben, und deren ungeschlachte Masse we-
nigstens bey Errichtung ungeheurer Monu-
mente, bey Erbauung neuer Städte und
Festen, frohnweis wohl zu gebrauchen ist,
nunmehr so leicht wieder von sich, und in
ihre alte Selbstständigkeit zurückzulassen.

Das Gesuch wird also abgewiesen, und,
bey einbrechenden Landplagen, immer drin-
gender wiederholt, immer hartnäckiger ver-
sagt. Aber das aufgeregte hebräische Volk,
in Aussicht auf ein Erbland, das ihm eine

und wiederziehende Caravanen, mit den
Seinigen erhalten wird. Nach manchem
Zweifel und Zögern entschlieſst er sich zu-
rückzukehren und des Volkes Retter zu
werden. Aaron, sein Bruder, kommt ihm
entgegen, und nun erfährt er, daſs die
Gährung im Volke aufs höchste gestiegen
sey. Jetzt dürfen es beide Brüder wagen,
sich als Repräsentanten vor den König zu
stellen. Allein dieser zeigt sich nichts we-
niger als geneigt, eine groſse Anzahl Men-
schen, die sich seit Jahrhunderten in sei-
nem Lande, aus einem Hirtenvolk, zum Acker-
bau, zu Handwerken und Künsten gebildet,
sich mit seinen Unterthanen vermischt ha-
ben, und deren ungeschlachte Masse we-
nigstens bey Errichtung ungeheurer Monu-
mente, bey Erbauung neuer Städte und
Festen, frohnweis wohl zu gebrauchen ist,
nunmehr so leicht wieder von sich, und in
ihre alte Selbstständigkeit zurückzulassen.

Das Gesuch wird also abgewiesen, und,
bey einbrechenden Landplagen, immer drin-
gender wiederholt, immer hartnäckiger ver-
sagt. Aber das aufgeregte hebräische Volk,
in Aussicht auf ein Erbland, das ihm eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0444" n="432[434]"/>
und wiederziehende Caravanen, mit den<lb/>
Seinigen erhalten wird. Nach manchem<lb/>
Zweifel und Zögern entschlie&#x017F;st er sich zu-<lb/>
rückzukehren und des Volkes Retter zu<lb/>
werden. Aaron, sein Bruder, kommt ihm<lb/>
entgegen, und nun erfährt er, da&#x017F;s die<lb/>
Gährung im Volke aufs höchste gestiegen<lb/>
sey. Jetzt dürfen es beide Brüder wagen,<lb/>
sich als Repräsentanten vor den König zu<lb/>
stellen. Allein dieser zeigt sich nichts we-<lb/>
niger als geneigt, eine gro&#x017F;se Anzahl Men-<lb/>
schen, die sich seit Jahrhunderten in sei-<lb/>
nem Lande, aus einem Hirtenvolk, zum Acker-<lb/>
bau, zu Handwerken und Künsten gebildet,<lb/>
sich mit seinen Unterthanen vermischt ha-<lb/>
ben, und deren ungeschlachte Masse we-<lb/>
nigstens bey Errichtung ungeheurer Monu-<lb/>
mente, bey Erbauung neuer Städte und<lb/>
Festen, frohnweis wohl zu gebrauchen ist,<lb/>
nunmehr so leicht wieder von sich, und in<lb/>
ihre alte Selbstständigkeit zurückzulassen.</p><lb/>
          <p>Das Gesuch wird also abgewiesen, und,<lb/>
bey einbrechenden Landplagen, immer drin-<lb/>
gender wiederholt, immer hartnäckiger ver-<lb/>
sagt. Aber das aufgeregte hebräische Volk,<lb/>
in Aussicht auf ein Erbland, das ihm eine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[432[434]/0444] und wiederziehende Caravanen, mit den Seinigen erhalten wird. Nach manchem Zweifel und Zögern entschlieſst er sich zu- rückzukehren und des Volkes Retter zu werden. Aaron, sein Bruder, kommt ihm entgegen, und nun erfährt er, daſs die Gährung im Volke aufs höchste gestiegen sey. Jetzt dürfen es beide Brüder wagen, sich als Repräsentanten vor den König zu stellen. Allein dieser zeigt sich nichts we- niger als geneigt, eine groſse Anzahl Men- schen, die sich seit Jahrhunderten in sei- nem Lande, aus einem Hirtenvolk, zum Acker- bau, zu Handwerken und Künsten gebildet, sich mit seinen Unterthanen vermischt ha- ben, und deren ungeschlachte Masse we- nigstens bey Errichtung ungeheurer Monu- mente, bey Erbauung neuer Städte und Festen, frohnweis wohl zu gebrauchen ist, nunmehr so leicht wieder von sich, und in ihre alte Selbstständigkeit zurückzulassen. Das Gesuch wird also abgewiesen, und, bey einbrechenden Landplagen, immer drin- gender wiederholt, immer hartnäckiger ver- sagt. Aber das aufgeregte hebräische Volk, in Aussicht auf ein Erbland, das ihm eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/444
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 432[434]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/444>, abgerufen am 22.12.2024.