Nicht der thätig-unruhige Geist Abbas des Grossen allein war es der ihn antrieb eine zweyte Hauptstadt am Caspischen Meer zu erbauen; Ferhabat lag zwar höchst günstig zu Jagd- und Hoflust, aber auch, von ei- ner Bergkette geschützt, nahe genug an der Gränze, dass der Kaiser jede Bewegung der Russen und Türken, seiner Erbfeinde, zeitig vernehmen und Gegenanstalten tref- fen konnte. Von den Russen war gegen- wärtig nichts zu fürchten, das innere Reich, durch Usurpatoren und Trugfürsten zerrüt- tet, genügte sich selbst nicht; die Türken hingegen hatte der Kaiser, schon vor zwölf Jahren in der glücklichsten Feldschlacht, dergestalt überwunden, dass er in der Folge von dort her nichts mehr zu befahren hat- te, vielmehr noch grosse Landstrecken ih- nen abgewann. Eigentlicher Friede jedoch konnte zwischen solchen Nachbarn sich nimmer befestigen, einzelne Neckereyen, öffentliche Demonstrationen weckten beyde Parteyen zu fortwährender Aufmerksam- keit.
Gegenwärtig aber sieht sich Abbas zu ernsteren Kriegesrüstungen genöthigt. Völ-
Nicht der thätig-unruhige Geist Abbas des Groſsen allein war es der ihn antrieb eine zweyte Hauptstadt am Caspischen Meer zu erbauen; Ferhabat lag zwar höchst günstig zu Jagd- und Hoflust, aber auch, von ei- ner Bergkette geschützt, nahe genug an der Gränze, daſs der Kaiser jede Bewegung der Russen und Türken, seiner Erbfeinde, zeitig vernehmen und Gegenanstalten tref- fen konnte. Von den Russen war gegen- wärtig nichts zu fürchten, das innere Reich, durch Usurpatoren und Trugfürsten zerrüt- tet, genügte sich selbst nicht; die Türken hingegen hatte der Kaiser, schon vor zwölf Jahren in der glücklichsten Feldschlacht, dergestalt überwunden, daſs er in der Folge von dort her nichts mehr zu befahren hat- te, vielmehr noch groſse Landstrecken ih- nen abgewann. Eigentlicher Friede jedoch konnte zwischen solchen Nachbarn sich nimmer befestigen, einzelne Neckereyen, öffentliche Demonstrationen weckten beyde Parteyen zu fortwährender Aufmerksam- keit.
Gegenwärtig aber sieht sich Abbas zu ernsteren Kriegesrüstungen genöthigt. Völ-
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[476[478]/0488]
Nicht der thätig-unruhige Geist Abbas des
Groſsen allein war es der ihn antrieb eine
zweyte Hauptstadt am Caspischen Meer zu
erbauen; Ferhabat lag zwar höchst günstig
zu Jagd- und Hoflust, aber auch, von ei-
ner Bergkette geschützt, nahe genug an
der Gränze, daſs der Kaiser jede Bewegung
der Russen und Türken, seiner Erbfeinde,
zeitig vernehmen und Gegenanstalten tref-
fen konnte. Von den Russen war gegen-
wärtig nichts zu fürchten, das innere Reich,
durch Usurpatoren und Trugfürsten zerrüt-
tet, genügte sich selbst nicht; die Türken
hingegen hatte der Kaiser, schon vor zwölf
Jahren in der glücklichsten Feldschlacht,
dergestalt überwunden, daſs er in der Folge
von dort her nichts mehr zu befahren hat-
te, vielmehr noch groſse Landstrecken ih-
nen abgewann. Eigentlicher Friede jedoch
konnte zwischen solchen Nachbarn sich
nimmer befestigen, einzelne Neckereyen,
öffentliche Demonstrationen weckten beyde
Parteyen zu fortwährender Aufmerksam-
keit.
Gegenwärtig aber sieht sich Abbas zu
ernsteren Kriegesrüstungen genöthigt. Völ-
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 476[478]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/488>, abgerufen am 22.12.2024.
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