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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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gionspartey angesehen werden; ihr Hass
wendet sich daher hauptsächlich gegen die
Sunniten, welche die zwischen Mahomed
und Ali eingeschobenen Caliphen mit zäh-
len und verehren. Die Türken sind diesem
Glauben zugethan und eine sowohl politi-
sche als religiöse Spaltung trennt die bey-
den Völker; indem nun die Schiiten ihre
eigenen verschieden denkenden Glaubensge-
nossen aufs äusserste hassen, sind sie gleich-
gültig gegen andere Bekenner und gewäh-
ren ihnen weit eher als ihren eigentlichen
Gegnern eine geneigte Aufnahme.

Aber auch, schlimm genug! diese Li-
beralität leidet unter den Einflüssen Kaiser-
licher Willkühr! Ein Reich zu bevölkern
oder zu entvölkern ist dem despotischen
Willen gleich gemäss. Abbas, verkleidet
auf dem Lande herumschleichend, vernimmt
die Missreden einiger armenischen Frauen
und fühlt sich dergestalt beleidigt, dass er
die grausamsten Strafen über die sämmtli-
chen männlichen Einwohner des Dorfes
verhängt. Schrecken und Bekümmerniss
verbreiten sich an den Ufern des Synde-
ruths, und die Vorstadt Chalfa, erst durch

gionspartey angesehen werden; ihr Haſs
wendet sich daher hauptsächlich gegen die
Sunniten, welche die zwischen Mahomed
und Ali eingeschobenen Caliphen mit zäh-
len und verehren. Die Türken sind diesem
Glauben zugethan und eine sowohl politi-
sche als religiöse Spaltung trennt die bey-
den Völker; indem nun die Schiiten ihre
eigenen verschieden denkenden Glaubensge-
nossen aufs äuſserste hassen, sind sie gleich-
gültig gegen andere Bekenner und gewäh-
ren ihnen weit eher als ihren eigentlichen
Gegnern eine geneigte Aufnahme.

Aber auch, schlimm genug! diese Li-
beralität leidet unter den Einflüssen Kaiser-
licher Willkühr! Ein Reich zu bevölkern
oder zu entvölkern ist dem despotischen
Willen gleich gemäſs. Abbas, verkleidet
auf dem Lande herumschleichend, vernimmt
die Miſsreden einiger armenischen Frauen
und fühlt sich dergestalt beleidigt, daſs er
die grausamsten Strafen über die sämmtli-
chen männlichen Einwohner des Dorfes
verhängt. Schrecken und Bekümmerniſs
verbreiten sich an den Ufern des Synde-
ruths, und die Vorstadt Chalfa, erst durch

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[483[485]/0495] gionspartey angesehen werden; ihr Haſs wendet sich daher hauptsächlich gegen die Sunniten, welche die zwischen Mahomed und Ali eingeschobenen Caliphen mit zäh- len und verehren. Die Türken sind diesem Glauben zugethan und eine sowohl politi- sche als religiöse Spaltung trennt die bey- den Völker; indem nun die Schiiten ihre eigenen verschieden denkenden Glaubensge- nossen aufs äuſserste hassen, sind sie gleich- gültig gegen andere Bekenner und gewäh- ren ihnen weit eher als ihren eigentlichen Gegnern eine geneigte Aufnahme. Aber auch, schlimm genug! diese Li- beralität leidet unter den Einflüssen Kaiser- licher Willkühr! Ein Reich zu bevölkern oder zu entvölkern ist dem despotischen Willen gleich gemäſs. Abbas, verkleidet auf dem Lande herumschleichend, vernimmt die Miſsreden einiger armenischen Frauen und fühlt sich dergestalt beleidigt, daſs er die grausamsten Strafen über die sämmtli- chen männlichen Einwohner des Dorfes verhängt. Schrecken und Bekümmerniſs verbreiten sich an den Ufern des Synde- ruths, und die Vorstadt Chalfa, erst durch

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 483[485]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/495>, abgerufen am 22.12.2024.