glauben und vornehmen was man will. So feyern z. B. die Armenier gerade das Fest der Kreuzestaufe, die sie in ihrer prächti- gen Vorstadt, durch welche der Fluss Syn- deruth läuft, feyerlichst begehen. Dieser Function will der Kaiser nicht allein mit grossem Gefolge beywohnen, auch hier kann er das Befehlen, das Anordnen nicht lassen. Erst bespricht er sich mit den Pfaf- fen was sie eigentlich vorhaben? dann sprengt er auf und ab, reitet hin und her, und gebietet dem Zug Ordnung und Ruhe, mit Genauigkeit wie er seine Krieger be- handelt hätte. Nach geendigter Feyer sam- melt er die Geistlichen und andere bedeu- tende Männer um sich her, bespricht sich mit ihnen über mancherley Religionsmey- nungen und Gebräuche. Doch diese Frey- heit der Gesinnung gegen andere Glaubens- genossen ist nicht bloss dem Kaiser per- sönlich, sie findet bey den Schiiten überhaupt statt. Diese, dem Ali anhän- gend, der, erst vom Caliphate verdrängt und als er endlich dazu gelangte, bald er- mordet wurde, können in manchem Sinne als die unterdrückte mahomedanische Reli-
glauben und vornehmen was man will. So feyern z. B. die Armenier gerade das Fest der Kreuzestaufe, die sie in ihrer prächti- gen Vorstadt, durch welche der Fluſs Syn- deruth läuft, feyerlichst begehen. Dieser Function will der Kaiser nicht allein mit groſsem Gefolge beywohnen, auch hier kann er das Befehlen, das Anordnen nicht lassen. Erst bespricht er sich mit den Pfaf- fen was sie eigentlich vorhaben? dann sprengt er auf und ab, reitet hin und her, und gebietet dem Zug Ordnung und Ruhe, mit Genauigkeit wie er seine Krieger be- handelt hätte. Nach geendigter Feyer sam- melt er die Geistlichen und andere bedeu- tende Männer um sich her, bespricht sich mit ihnen über mancherley Religionsmey- nungen und Gebräuche. Doch diese Frey- heit der Gesinnung gegen andere Glaubens- genossen ist nicht bloſs dem Kaiser per- sönlich, sie findet bey den Schiiten überhaupt statt. Diese, dem Ali anhän- gend, der, erst vom Caliphate verdrängt und als er endlich dazu gelangte, bald er- mordet wurde, können in manchem Sinne als die unterdrückte mahomedanische Reli-
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[482[484]/0494]
glauben und vornehmen was man will. So
feyern z. B. die Armenier gerade das Fest
der Kreuzestaufe, die sie in ihrer prächti-
gen Vorstadt, durch welche der Fluſs Syn-
deruth läuft, feyerlichst begehen. Dieser
Function will der Kaiser nicht allein mit
groſsem Gefolge beywohnen, auch hier
kann er das Befehlen, das Anordnen nicht
lassen. Erst bespricht er sich mit den Pfaf-
fen was sie eigentlich vorhaben? dann
sprengt er auf und ab, reitet hin und her,
und gebietet dem Zug Ordnung und Ruhe,
mit Genauigkeit wie er seine Krieger be-
handelt hätte. Nach geendigter Feyer sam-
melt er die Geistlichen und andere bedeu-
tende Männer um sich her, bespricht sich
mit ihnen über mancherley Religionsmey-
nungen und Gebräuche. Doch diese Frey-
heit der Gesinnung gegen andere Glaubens-
genossen ist nicht bloſs dem Kaiser per-
sönlich, sie findet bey den Schiiten
überhaupt statt. Diese, dem Ali anhän-
gend, der, erst vom Caliphate verdrängt
und als er endlich dazu gelangte, bald er-
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 482[484]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/494>, abgerufen am 22.12.2024.
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