vom Kaiser eine Landstrecke, zu Gründung eines neuen Roms, zu erhalten.
Nun erscheint der Kaiser selbst wieder in Ispahan, Gesandte von allen Weltgegenden strömen herbey. Der Herrscher zu Pferd, auf dem grössten Platze, in Gegenwart sei- ner Soldaten, der angesehnsten Diener- schaft, bedeutender Fremden, deren Vor- nehmste auch alle zu Pferd mit Gefolge sich einfinden, ertheilt er launige Audien- zen; Geschenke werden gebracht, grosser Prunk damit getrieben, und doch werden sie bald hochfahrend verschmäht, bald da- rum jüdisch gemarktet, und so schwankt die Majestät immer zwischen dem Höchsten und Tiefsten. Sodann, bald geheimnissvoll verschlossen im Harem, bald vor aller Au- gen handelnd, sich in alles Öffentliche ein- mischend, zeigt sich der Kaiser in uner- müdlicher, eigenwilliger Thätigkeit.
Durchaus auch bemerkt man einen be- sondern Freysinn in Religionssachen. Nur keinen Muhamedaner darf man zum Chri- stenthum bekehren; an Bekehrungen zum Islam, die er früher begünstigt, hat er selbst keine Freude mehr. Uebrigens mag man
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vom Kaiser eine Landstrecke, zu Gründung eines neuen Roms, zu erhalten.
Nun erscheint der Kaiser selbst wieder in Ispahan, Gesandte von allen Weltgegenden strömen herbey. Der Herrscher zu Pferd, auf dem gröſsten Platze, in Gegenwart sei- ner Soldaten, der angesehnsten Diener- schaft, bedeutender Fremden, deren Vor- nehmste auch alle zu Pferd mit Gefolge sich einfinden, ertheilt er launige Audien- zen; Geschenke werden gebracht, groſser Prunk damit getrieben, und doch werden sie bald hochfahrend verschmäht, bald da- rum jüdisch gemarktet, und so schwankt die Majestät immer zwischen dem Höchsten und Tiefsten. Sodann, bald geheimniſsvoll verschlossen im Harem, bald vor aller Au- gen handelnd, sich in alles Öffentliche ein- mischend, zeigt sich der Kaiser in uner- müdlicher, eigenwilliger Thätigkeit.
Durchaus auch bemerkt man einen be- sondern Freysinn in Religionssachen. Nur keinen Muhamedaner darf man zum Chri- stenthum bekehren; an Bekehrungen zum Islam, die er früher begünstigt, hat er selbst keine Freude mehr. Uebrigens mag man
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[481[483]/0493]
vom Kaiser eine Landstrecke, zu Gründung
eines neuen Roms, zu erhalten.
Nun erscheint der Kaiser selbst wieder in
Ispahan, Gesandte von allen Weltgegenden
strömen herbey. Der Herrscher zu Pferd,
auf dem gröſsten Platze, in Gegenwart sei-
ner Soldaten, der angesehnsten Diener-
schaft, bedeutender Fremden, deren Vor-
nehmste auch alle zu Pferd mit Gefolge
sich einfinden, ertheilt er launige Audien-
zen; Geschenke werden gebracht, groſser
Prunk damit getrieben, und doch werden
sie bald hochfahrend verschmäht, bald da-
rum jüdisch gemarktet, und so schwankt
die Majestät immer zwischen dem Höchsten
und Tiefsten. Sodann, bald geheimniſsvoll
verschlossen im Harem, bald vor aller Au-
gen handelnd, sich in alles Öffentliche ein-
mischend, zeigt sich der Kaiser in uner-
müdlicher, eigenwilliger Thätigkeit.
Durchaus auch bemerkt man einen be-
sondern Freysinn in Religionssachen. Nur
keinen Muhamedaner darf man zum Chri-
stenthum bekehren; an Bekehrungen zum
Islam, die er früher begünstigt, hat er selbst
keine Freude mehr. Uebrigens mag man
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 481[483]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/493>, abgerufen am 22.12.2024.
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