Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Verdienst nicht fehlen. Aber so mag denn auch dieser
Mangel zum Vortheil gereichen, indem es nunmehr
des geistreichen Mathematikers Geschäft werden kann,
selbst aufzusuchen, wo denn die Farbenlehre seiner
Hülfe bedarf, und wie er zur Vollendung dieses Theils
der Naturwissenschaft das Seinige beytragen kann.

728.

Ueberhaupt wäre es zu wünschen, daß die Deut-
schen, die so vieles Gute leisten, indem sie sich das
Gute fremder Nationen aneignen, sich nach und nach
gewöhnten, in Gesellschaft zu arbeiten. Wir leben zwar
in einer diesem Wunsche gerade entgegengesetzten Epoche.
Jeder will nicht nur original in seinen Ansichten, son-
dern auch im Gange seines Lebens und Thuns, von
den Bemühungen anderer unabhängig, wo nicht seyn,
doch daß er es sey, sich überreden. Man bemerkt
sehr oft, daß Männer, die freylich manches geleistet,
nur sich selbst, ihre eigenen Schriften, Journale und
Compendien citiren; anstatt daß es für den Einzelnen
und für die Welt viel vortheilhafter wäre, wenn meh-
rere zu gemeinsamer Arbeit gerufen würden. Das Be-
tragen unserer Nachbarn, der Franzosen, ist hierin muster-
haft, wie man z. B. in der Vorrede Cuvier's zu sei-
nem Tableau elementaire de l'Histoire naturelle
des animaux
mit Vergnügen sehen wird.

729.

Wer die Wissenschaften und ihren Gang mit treuem
Auge beobachtet hat, wird sogar die Frage aufwerfen:

Verdienſt nicht fehlen. Aber ſo mag denn auch dieſer
Mangel zum Vortheil gereichen, indem es nunmehr
des geiſtreichen Mathematikers Geſchaͤft werden kann,
ſelbſt aufzuſuchen, wo denn die Farbenlehre ſeiner
Huͤlfe bedarf, und wie er zur Vollendung dieſes Theils
der Naturwiſſenſchaft das Seinige beytragen kann.

728.

Ueberhaupt waͤre es zu wuͤnſchen, daß die Deut-
ſchen, die ſo vieles Gute leiſten, indem ſie ſich das
Gute fremder Nationen aneignen, ſich nach und nach
gewoͤhnten, in Geſellſchaft zu arbeiten. Wir leben zwar
in einer dieſem Wunſche gerade entgegengeſetzten Epoche.
Jeder will nicht nur original in ſeinen Anſichten, ſon-
dern auch im Gange ſeines Lebens und Thuns, von
den Bemuͤhungen anderer unabhaͤngig, wo nicht ſeyn,
doch daß er es ſey, ſich uͤberreden. Man bemerkt
ſehr oft, daß Maͤnner, die freylich manches geleiſtet,
nur ſich ſelbſt, ihre eigenen Schriften, Journale und
Compendien citiren; anſtatt daß es fuͤr den Einzelnen
und fuͤr die Welt viel vortheilhafter waͤre, wenn meh-
rere zu gemeinſamer Arbeit gerufen wuͤrden. Das Be-
tragen unſerer Nachbarn, der Franzoſen, iſt hierin muſter-
haft, wie man z. B. in der Vorrede Cuvier’s zu ſei-
nem Tableau élémentaire de l’Histoire naturelle
des animaux
mit Vergnuͤgen ſehen wird.

729.

Wer die Wiſſenſchaften und ihren Gang mit treuem
Auge beobachtet hat, wird ſogar die Frage aufwerfen:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0325" n="271"/>
Verdien&#x017F;t nicht fehlen. Aber &#x017F;o mag denn auch die&#x017F;er<lb/>
Mangel zum Vortheil gereichen, indem es nunmehr<lb/>
des gei&#x017F;treichen Mathematikers Ge&#x017F;cha&#x0364;ft werden kann,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t aufzu&#x017F;uchen, wo denn die Farbenlehre &#x017F;einer<lb/>
Hu&#x0364;lfe bedarf, und wie er zur Vollendung die&#x017F;es Theils<lb/>
der Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft das Seinige beytragen kann.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>728.</head><lb/>
              <p>Ueberhaupt wa&#x0364;re es zu wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß die Deut-<lb/>
&#x017F;chen, die &#x017F;o vieles Gute lei&#x017F;ten, indem &#x017F;ie &#x017F;ich das<lb/>
Gute fremder Nationen aneignen, &#x017F;ich nach und nach<lb/>
gewo&#x0364;hnten, in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu arbeiten. Wir leben zwar<lb/>
in einer die&#x017F;em Wun&#x017F;che gerade entgegenge&#x017F;etzten Epoche.<lb/>
Jeder will nicht nur original in &#x017F;einen An&#x017F;ichten, &#x017F;on-<lb/>
dern auch im Gange &#x017F;eines Lebens und Thuns, von<lb/>
den Bemu&#x0364;hungen anderer unabha&#x0364;ngig, wo nicht &#x017F;eyn,<lb/>
doch daß er es &#x017F;ey, &#x017F;ich u&#x0364;berreden. Man bemerkt<lb/>
&#x017F;ehr oft, daß Ma&#x0364;nner, die freylich manches gelei&#x017F;tet,<lb/>
nur &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, ihre eigenen Schriften, Journale und<lb/>
Compendien citiren; an&#x017F;tatt daß es fu&#x0364;r den Einzelnen<lb/>
und fu&#x0364;r die Welt viel vortheilhafter wa&#x0364;re, wenn meh-<lb/>
rere zu gemein&#x017F;amer Arbeit gerufen wu&#x0364;rden. Das Be-<lb/>
tragen un&#x017F;erer Nachbarn, der Franzo&#x017F;en, i&#x017F;t hierin mu&#x017F;ter-<lb/>
haft, wie man z. B. in der Vorrede <hi rendition="#aq">Cuvier&#x2019;s</hi> zu &#x017F;ei-<lb/>
nem <hi rendition="#aq">Tableau élémentaire de l&#x2019;Histoire naturelle<lb/>
des animaux</hi> mit Vergnu&#x0364;gen &#x017F;ehen wird.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>729.</head><lb/>
              <p>Wer die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und ihren Gang mit treuem<lb/>
Auge beobachtet hat, wird &#x017F;ogar die Frage aufwerfen:<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0325] Verdienſt nicht fehlen. Aber ſo mag denn auch dieſer Mangel zum Vortheil gereichen, indem es nunmehr des geiſtreichen Mathematikers Geſchaͤft werden kann, ſelbſt aufzuſuchen, wo denn die Farbenlehre ſeiner Huͤlfe bedarf, und wie er zur Vollendung dieſes Theils der Naturwiſſenſchaft das Seinige beytragen kann. 728. Ueberhaupt waͤre es zu wuͤnſchen, daß die Deut- ſchen, die ſo vieles Gute leiſten, indem ſie ſich das Gute fremder Nationen aneignen, ſich nach und nach gewoͤhnten, in Geſellſchaft zu arbeiten. Wir leben zwar in einer dieſem Wunſche gerade entgegengeſetzten Epoche. Jeder will nicht nur original in ſeinen Anſichten, ſon- dern auch im Gange ſeines Lebens und Thuns, von den Bemuͤhungen anderer unabhaͤngig, wo nicht ſeyn, doch daß er es ſey, ſich uͤberreden. Man bemerkt ſehr oft, daß Maͤnner, die freylich manches geleiſtet, nur ſich ſelbſt, ihre eigenen Schriften, Journale und Compendien citiren; anſtatt daß es fuͤr den Einzelnen und fuͤr die Welt viel vortheilhafter waͤre, wenn meh- rere zu gemeinſamer Arbeit gerufen wuͤrden. Das Be- tragen unſerer Nachbarn, der Franzoſen, iſt hierin muſter- haft, wie man z. B. in der Vorrede Cuvier’s zu ſei- nem Tableau élémentaire de l’Histoire naturelle des animaux mit Vergnuͤgen ſehen wird. 729. Wer die Wiſſenſchaften und ihren Gang mit treuem Auge beobachtet hat, wird ſogar die Frage aufwerfen:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/325
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/325>, abgerufen am 23.12.2024.