Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Gewänder nehmen, sondern nur immer gleichsam ab-
stracte Falten malen müsse. Wird nicht hierdurch alle
charakteristische Abwechslung aufgehoben, und ist das
Porträt von Leo X. deshalb weniger trefflich, weil au
diesem Bilde Sammt, Atlas und Mohr neben einander
nachgeahmt ward?

876.

Bey Naturproducten erscheinen die Farben mehr
oder weniger modificirt, specificirt, ja individualisirt;
welches bey Steinen und Pflanzen, bey den Federn
der Vögel und den Haaren der Thiere wohl zu beob-
achten ist.

877.

Die Hauptkunst des Malers bleibt immer, daß er
die Gegenwart des bestimmten Stoffes nachahme und das
Allgemeine, Elementare der Farbenerscheinung zerstöre.
Die höchste Schwierigkeit findet sich hier bey der Ober-
fläche des menschlichen Körpers.

878.

Das Fleisch steht im Ganzen auf der activen Sei-
te; doch spielt das Blauliche der passiven auch mit
herein. Die Farbe ist durchaus ihrem elementaren
Zustande entrückt und durch Organisation neutra-
lisirt.

879.

Das Colorit des Ortes und das Colorit der Ge-
genstände in Harmonie zu bringen, wird nach Betrach-

Gewaͤnder nehmen, ſondern nur immer gleichſam ab-
ſtracte Falten malen muͤſſe. Wird nicht hierdurch alle
charakteriſtiſche Abwechſlung aufgehoben, und iſt das
Portraͤt von Leo X. deshalb weniger trefflich, weil au
dieſem Bilde Sammt, Atlas und Mohr neben einander
nachgeahmt ward?

876.

Bey Naturproducten erſcheinen die Farben mehr
oder weniger modificirt, ſpecificirt, ja individualiſirt;
welches bey Steinen und Pflanzen, bey den Federn
der Voͤgel und den Haaren der Thiere wohl zu beob-
achten iſt.

877.

Die Hauptkunſt des Malers bleibt immer, daß er
die Gegenwart des beſtimmten Stoffes nachahme und das
Allgemeine, Elementare der Farbenerſcheinung zerſtoͤre.
Die hoͤchſte Schwierigkeit findet ſich hier bey der Ober-
flaͤche des menſchlichen Koͤrpers.

878.

Das Fleiſch ſteht im Ganzen auf der activen Sei-
te; doch ſpielt das Blauliche der paſſiven auch mit
herein. Die Farbe iſt durchaus ihrem elementaren
Zuſtande entruͤckt und durch Organiſation neutra-
liſirt.

879.

Das Colorit des Ortes und das Colorit der Ge-
genſtaͤnde in Harmonie zu bringen, wird nach Betrach-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0378" n="324"/>
Gewa&#x0364;nder nehmen, &#x017F;ondern nur immer gleich&#x017F;am ab-<lb/>
&#x017F;tracte Falten malen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Wird nicht hierdurch alle<lb/>
charakteri&#x017F;ti&#x017F;che Abwech&#x017F;lung aufgehoben, und i&#x017F;t das<lb/>
Portra&#x0364;t von Leo <hi rendition="#aq">X.</hi> deshalb weniger trefflich, weil au<lb/>
die&#x017F;em Bilde Sammt, Atlas und Mohr neben einander<lb/>
nachgeahmt ward?</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>876.</head><lb/>
              <p>Bey Naturproducten er&#x017F;cheinen die Farben mehr<lb/>
oder weniger modificirt, &#x017F;pecificirt, ja individuali&#x017F;irt;<lb/>
welches bey Steinen und Pflanzen, bey den Federn<lb/>
der Vo&#x0364;gel und den Haaren der Thiere wohl zu beob-<lb/>
achten i&#x017F;t.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>877.</head><lb/>
              <p>Die Hauptkun&#x017F;t des Malers bleibt immer, daß er<lb/>
die Gegenwart des be&#x017F;timmten Stoffes nachahme und das<lb/>
Allgemeine, Elementare der Farbener&#x017F;cheinung zer&#x017F;to&#x0364;re.<lb/>
Die ho&#x0364;ch&#x017F;te Schwierigkeit findet &#x017F;ich hier bey der Ober-<lb/>
fla&#x0364;che des men&#x017F;chlichen Ko&#x0364;rpers.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>878.</head><lb/>
              <p>Das Flei&#x017F;ch &#x017F;teht im Ganzen auf der activen Sei-<lb/>
te; doch &#x017F;pielt das Blauliche der pa&#x017F;&#x017F;iven auch mit<lb/>
herein. Die Farbe i&#x017F;t durchaus ihrem elementaren<lb/>
Zu&#x017F;tande entru&#x0364;ckt und durch Organi&#x017F;ation neutra-<lb/>
li&#x017F;irt.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>879.</head><lb/>
              <p>Das Colorit des Ortes und das Colorit der Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nde in Harmonie zu bringen, wird nach Betrach-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[324/0378] Gewaͤnder nehmen, ſondern nur immer gleichſam ab- ſtracte Falten malen muͤſſe. Wird nicht hierdurch alle charakteriſtiſche Abwechſlung aufgehoben, und iſt das Portraͤt von Leo X. deshalb weniger trefflich, weil au dieſem Bilde Sammt, Atlas und Mohr neben einander nachgeahmt ward? 876. Bey Naturproducten erſcheinen die Farben mehr oder weniger modificirt, ſpecificirt, ja individualiſirt; welches bey Steinen und Pflanzen, bey den Federn der Voͤgel und den Haaren der Thiere wohl zu beob- achten iſt. 877. Die Hauptkunſt des Malers bleibt immer, daß er die Gegenwart des beſtimmten Stoffes nachahme und das Allgemeine, Elementare der Farbenerſcheinung zerſtoͤre. Die hoͤchſte Schwierigkeit findet ſich hier bey der Ober- flaͤche des menſchlichen Koͤrpers. 878. Das Fleiſch ſteht im Ganzen auf der activen Sei- te; doch ſpielt das Blauliche der paſſiven auch mit herein. Die Farbe iſt durchaus ihrem elementaren Zuſtande entruͤckt und durch Organiſation neutra- liſirt. 879. Das Colorit des Ortes und das Colorit der Ge- genſtaͤnde in Harmonie zu bringen, wird nach Betrach-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/378
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/378>, abgerufen am 23.12.2024.