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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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nachdem es vom Licht erweckt oder verlassen wird.
Das Licht entzündet natürlich eben so das Product die-
ser Farben in seiner Tiefe und erhebt es zu einer leuch-
tenden Klarheit, die jede Farbe durchscheinen läßt.
Diese Erleuchtung, der sie fähig ist, indem das Licht
sie zu immer höherem Brand entzündet, macht, daß
sie oft unbemerkt um uns wogt und in tausend Ver-
wandlungen die Gegenstände zeigt, die durch eine ein-
fache Mischung unmöglich wären, und alles in seiner
Klarheit läßt und noch erhöht. So können wir über
die gleichgültigsten Gegenstände oft einen Reiz verbrei-
tet sehen, der meist mehr in der Erleuchtung der zwi-
schen uns und dem Gegenstand befindlichen Luft liegt,
als in der Beleuchtung seiner Formen.

20) Das Verhältniß des Lichts zur durchsichtigen
Farbe ist, wenn man sich darein vertieft, unendlich
reizend, und das Entzünden der Farben und das
Verschwimmen in einander und Wiederentstehen und
Verschwinden ist wie das Odemhohlen in großen Pau-
sen von Ewigkeit zu Ewigkeit vom höchsten Licht bis
in die einsame und ewige Stille in den allertiefsten
Tönen.

21) Die undurchsichtigen Farben stehen wie Blu-
men dagegen, die es nicht wagen, sich mit dem Him-
mel zu messen, und doch mit der Schwachheit von der
einen Seite, dem Weißen, und dem Bösen, dem
Schwarzen, von der andern zu thun haben.

22) Diese sind aber gerade fähig, wenn sie sich
nicht mit Weiß noch Schwarz vermischen, sondern
dünn darüber gezogen werden, so anmuthige Varia-

nachdem es vom Licht erweckt oder verlaſſen wird.
Das Licht entzuͤndet natuͤrlich eben ſo das Product die-
ſer Farben in ſeiner Tiefe und erhebt es zu einer leuch-
tenden Klarheit, die jede Farbe durchſcheinen laͤßt.
Dieſe Erleuchtung, der ſie faͤhig iſt, indem das Licht
ſie zu immer hoͤherem Brand entzuͤndet, macht, daß
ſie oft unbemerkt um uns wogt und in tauſend Ver-
wandlungen die Gegenſtaͤnde zeigt, die durch eine ein-
fache Miſchung unmoͤglich waͤren, und alles in ſeiner
Klarheit laͤßt und noch erhoͤht. So koͤnnen wir uͤber
die gleichguͤltigſten Gegenſtaͤnde oft einen Reiz verbrei-
tet ſehen, der meiſt mehr in der Erleuchtung der zwi-
ſchen uns und dem Gegenſtand befindlichen Luft liegt,
als in der Beleuchtung ſeiner Formen.

20) Das Verhaͤltniß des Lichts zur durchſichtigen
Farbe iſt, wenn man ſich darein vertieft, unendlich
reizend, und das Entzuͤnden der Farben und das
Verſchwimmen in einander und Wiederentſtehen und
Verſchwinden iſt wie das Odemhohlen in großen Pau-
ſen von Ewigkeit zu Ewigkeit vom hoͤchſten Licht bis
in die einſame und ewige Stille in den allertiefſten
Toͤnen.

21) Die undurchſichtigen Farben ſtehen wie Blu-
men dagegen, die es nicht wagen, ſich mit dem Him-
mel zu meſſen, und doch mit der Schwachheit von der
einen Seite, dem Weißen, und dem Boͤſen, dem
Schwarzen, von der andern zu thun haben.

22) Dieſe ſind aber gerade faͤhig, wenn ſie ſich
nicht mit Weiß noch Schwarz vermiſchen, ſondern
duͤnn daruͤber gezogen werden, ſo anmuthige Varia-

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[348/0402] nachdem es vom Licht erweckt oder verlaſſen wird. Das Licht entzuͤndet natuͤrlich eben ſo das Product die- ſer Farben in ſeiner Tiefe und erhebt es zu einer leuch- tenden Klarheit, die jede Farbe durchſcheinen laͤßt. Dieſe Erleuchtung, der ſie faͤhig iſt, indem das Licht ſie zu immer hoͤherem Brand entzuͤndet, macht, daß ſie oft unbemerkt um uns wogt und in tauſend Ver- wandlungen die Gegenſtaͤnde zeigt, die durch eine ein- fache Miſchung unmoͤglich waͤren, und alles in ſeiner Klarheit laͤßt und noch erhoͤht. So koͤnnen wir uͤber die gleichguͤltigſten Gegenſtaͤnde oft einen Reiz verbrei- tet ſehen, der meiſt mehr in der Erleuchtung der zwi- ſchen uns und dem Gegenſtand befindlichen Luft liegt, als in der Beleuchtung ſeiner Formen. 20) Das Verhaͤltniß des Lichts zur durchſichtigen Farbe iſt, wenn man ſich darein vertieft, unendlich reizend, und das Entzuͤnden der Farben und das Verſchwimmen in einander und Wiederentſtehen und Verſchwinden iſt wie das Odemhohlen in großen Pau- ſen von Ewigkeit zu Ewigkeit vom hoͤchſten Licht bis in die einſame und ewige Stille in den allertiefſten Toͤnen. 21) Die undurchſichtigen Farben ſtehen wie Blu- men dagegen, die es nicht wagen, ſich mit dem Him- mel zu meſſen, und doch mit der Schwachheit von der einen Seite, dem Weißen, und dem Boͤſen, dem Schwarzen, von der andern zu thun haben. 22) Dieſe ſind aber gerade faͤhig, wenn ſie ſich nicht mit Weiß noch Schwarz vermiſchen, ſondern duͤnn daruͤber gezogen werden, ſo anmuthige Varia-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/402>, abgerufen am 23.12.2024.