steht uns eine Farbe, die wir Gelb nennen, eine andere zunächst an der Finsterniß, die wir mit dem Worte Blau bezeichnen. Diese beyden, wenn wir sie in ihrem reinsten Zustand dergestalt vermischen, daß sie sich völlig das Gleichgewicht halten, brin- gen eine Dritte hervor, welche wir Grün heißen. Jene beyden ersten Farben können aber auch jede an sich selbst eine neue Erscheinung hervorbringen, indem sie sich verdichten oder verdunkeln. Sie er- halten ein röthliches Ansehen, welches sich bis auf einen so hohen Grad steigern kann, daß man das ursprüngliche Blau und Gelb kaum darin mehr erkennen mag. Doch läßt sich das höchste und reine Roth, vorzüglich in physischen Fällen, dadurch hervorbringen, daß man die beyden Enden des Gelbrothen und Blaurothen vereinigt. Dieses ist die lebendige Ansicht der Farbenerscheinung und Erzeugung. Man kann aber auch zu dem specifi- cirt fertigen Blauen und Gelben ein fertiges Roth annehmen, und rückwärts durch Mischung hervor- bringen, was wir vorwärts durch Intensiren be- wirkt haben. Mit diesen drey oder sechs Farben, welche sich bequem in einen Kreis einschließen las- sen, hat die Elementare Farbenlehre allein zu thun. Alle übrigen ins Unendliche gehenden Abänderun- gen gehören mehr in das Angewandte, gehören
ſteht uns eine Farbe, die wir Gelb nennen, eine andere zunaͤchſt an der Finſterniß, die wir mit dem Worte Blau bezeichnen. Dieſe beyden, wenn wir ſie in ihrem reinſten Zuſtand dergeſtalt vermiſchen, daß ſie ſich voͤllig das Gleichgewicht halten, brin- gen eine Dritte hervor, welche wir Gruͤn heißen. Jene beyden erſten Farben koͤnnen aber auch jede an ſich ſelbſt eine neue Erſcheinung hervorbringen, indem ſie ſich verdichten oder verdunkeln. Sie er- halten ein roͤthliches Anſehen, welches ſich bis auf einen ſo hohen Grad ſteigern kann, daß man das urſpruͤngliche Blau und Gelb kaum darin mehr erkennen mag. Doch laͤßt ſich das hoͤchſte und reine Roth, vorzuͤglich in phyſiſchen Faͤllen, dadurch hervorbringen, daß man die beyden Enden des Gelbrothen und Blaurothen vereinigt. Dieſes iſt die lebendige Anſicht der Farbenerſcheinung und Erzeugung. Man kann aber auch zu dem ſpecifi- cirt fertigen Blauen und Gelben ein fertiges Roth annehmen, und ruͤckwaͤrts durch Miſchung hervor- bringen, was wir vorwaͤrts durch Intenſiren be- wirkt haben. Mit dieſen drey oder ſechs Farben, welche ſich bequem in einen Kreis einſchließen laſ- ſen, hat die Elementare Farbenlehre allein zu thun. Alle uͤbrigen ins Unendliche gehenden Abaͤnderun- gen gehoͤren mehr in das Angewandte, gehoͤren
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0048"n="XLII"/>ſteht uns eine Farbe, die wir Gelb nennen, eine<lb/>
andere zunaͤchſt an der Finſterniß, die wir mit dem<lb/>
Worte Blau bezeichnen. Dieſe beyden, wenn wir<lb/>ſie in ihrem reinſten Zuſtand dergeſtalt vermiſchen,<lb/>
daß ſie ſich voͤllig das Gleichgewicht halten, brin-<lb/>
gen eine Dritte hervor, welche wir Gruͤn heißen.<lb/>
Jene beyden erſten Farben koͤnnen aber auch jede<lb/>
an ſich ſelbſt eine neue Erſcheinung hervorbringen,<lb/>
indem ſie ſich verdichten oder verdunkeln. Sie er-<lb/>
halten ein roͤthliches Anſehen, welches ſich bis auf<lb/>
einen ſo hohen Grad ſteigern kann, daß man das<lb/>
urſpruͤngliche Blau und Gelb kaum darin mehr<lb/>
erkennen mag. Doch laͤßt ſich das hoͤchſte und<lb/>
reine Roth, vorzuͤglich in phyſiſchen Faͤllen, dadurch<lb/>
hervorbringen, daß man die beyden Enden des<lb/>
Gelbrothen und Blaurothen vereinigt. Dieſes iſt<lb/>
die lebendige Anſicht der Farbenerſcheinung und<lb/>
Erzeugung. Man kann aber auch zu dem ſpecifi-<lb/>
cirt fertigen Blauen und Gelben ein fertiges Roth<lb/>
annehmen, und ruͤckwaͤrts durch Miſchung hervor-<lb/>
bringen, was wir vorwaͤrts durch Intenſiren be-<lb/>
wirkt haben. Mit dieſen drey oder ſechs Farben,<lb/>
welche ſich bequem in einen Kreis einſchließen laſ-<lb/>ſen, hat die Elementare Farbenlehre allein zu thun.<lb/>
Alle uͤbrigen ins Unendliche gehenden Abaͤnderun-<lb/>
gen gehoͤren mehr in das Angewandte, gehoͤren<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[XLII/0048]
ſteht uns eine Farbe, die wir Gelb nennen, eine
andere zunaͤchſt an der Finſterniß, die wir mit dem
Worte Blau bezeichnen. Dieſe beyden, wenn wir
ſie in ihrem reinſten Zuſtand dergeſtalt vermiſchen,
daß ſie ſich voͤllig das Gleichgewicht halten, brin-
gen eine Dritte hervor, welche wir Gruͤn heißen.
Jene beyden erſten Farben koͤnnen aber auch jede
an ſich ſelbſt eine neue Erſcheinung hervorbringen,
indem ſie ſich verdichten oder verdunkeln. Sie er-
halten ein roͤthliches Anſehen, welches ſich bis auf
einen ſo hohen Grad ſteigern kann, daß man das
urſpruͤngliche Blau und Gelb kaum darin mehr
erkennen mag. Doch laͤßt ſich das hoͤchſte und
reine Roth, vorzuͤglich in phyſiſchen Faͤllen, dadurch
hervorbringen, daß man die beyden Enden des
Gelbrothen und Blaurothen vereinigt. Dieſes iſt
die lebendige Anſicht der Farbenerſcheinung und
Erzeugung. Man kann aber auch zu dem ſpecifi-
cirt fertigen Blauen und Gelben ein fertiges Roth
annehmen, und ruͤckwaͤrts durch Miſchung hervor-
bringen, was wir vorwaͤrts durch Intenſiren be-
wirkt haben. Mit dieſen drey oder ſechs Farben,
welche ſich bequem in einen Kreis einſchließen laſ-
ſen, hat die Elementare Farbenlehre allein zu thun.
Alle uͤbrigen ins Unendliche gehenden Abaͤnderun-
gen gehoͤren mehr in das Angewandte, gehoͤren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. XLII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/48>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.