Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

eine zitternde Bewegung ist, und in der Luft nichts als diese
Bewegung, die von dem Object fortgepflanzt wird, und im
Sensorium das Gefühl dieser Bewegung, unter der Form des
Klanges; eben so sind die Farben der Gegenstände nur eine
Disposition diese oder jene Art Strahlen häufiger als die
übrigen zurückzuwerfen, in den Strahlen aber ist nichts als
ihre Dispositionen diese oder jene Bewegung bis zum Senso-
rium fortzupflanzen, und im Sensorium sind es Empfindun-
gen dieser Bewegungen, unter der Form von Farben.

457.

Wie unter der Rubrik einer Definition diese wun-
derliche theoretische Stelle hier eingeschaltet wird, eini-
germaßen begreiflich zu machen, ist hier vor allen
Dingen unsre Pflicht, weil wir allein dadurch zu einer
bessern Einsicht in die Stelle selbst gelangen können.
Die Geschichte der Farbenlehre benachrichtigt uns, daß
sogleich als Newton mit seiner Erklärung des
prismatischen Phänomens hervortrat, die Naturforscher
der damaligen Zeit, wohlbemerkend, daß nach dieser
Art sich die Sache zu denken, die Farben körperlich
in dem Lichte enthalten seyn müßten, ihm die damals
sehr in Gunst stehende Theorie der Schwingungen ent-
gegen setzten und behaupteten, daß die Farben bequemer
und besser auf diesem Wege erklärt oder gedacht werden
könnten. Newton erwiederte, daß es ganz gleichgültig
sey, was man für eine höhere Theorie zu Erklärung
dieser Phänomene anwenden wolle; ihm sey es nur
um die Thatsache zu thun, daß diese farbebringenden
Eigenschaften des Lichtes durch Refraction manifestirt
würden, und sich eben auch so durch Reflexion, In-

eine zitternde Bewegung iſt, und in der Luft nichts als dieſe
Bewegung, die von dem Object fortgepflanzt wird, und im
Senſorium das Gefuͤhl dieſer Bewegung, unter der Form des
Klanges; eben ſo ſind die Farben der Gegenſtaͤnde nur eine
Dispoſition dieſe oder jene Art Strahlen haͤufiger als die
uͤbrigen zuruͤckzuwerfen, in den Strahlen aber iſt nichts als
ihre Dispoſitionen dieſe oder jene Bewegung bis zum Senſo-
rium fortzupflanzen, und im Senſorium ſind es Empfindun-
gen dieſer Bewegungen, unter der Form von Farben.

457.

Wie unter der Rubrik einer Definition dieſe wun-
derliche theoretiſche Stelle hier eingeſchaltet wird, eini-
germaßen begreiflich zu machen, iſt hier vor allen
Dingen unſre Pflicht, weil wir allein dadurch zu einer
beſſern Einſicht in die Stelle ſelbſt gelangen koͤnnen.
Die Geſchichte der Farbenlehre benachrichtigt uns, daß
ſogleich als Newton mit ſeiner Erklaͤrung des
prismatiſchen Phaͤnomens hervortrat, die Naturforſcher
der damaligen Zeit, wohlbemerkend, daß nach dieſer
Art ſich die Sache zu denken, die Farben koͤrperlich
in dem Lichte enthalten ſeyn muͤßten, ihm die damals
ſehr in Gunſt ſtehende Theorie der Schwingungen ent-
gegen ſetzten und behaupteten, daß die Farben bequemer
und beſſer auf dieſem Wege erklaͤrt oder gedacht werden
koͤnnten. Newton erwiederte, daß es ganz gleichguͤltig
ſey, was man fuͤr eine hoͤhere Theorie zu Erklaͤrung
dieſer Phaͤnomene anwenden wolle; ihm ſey es nur
um die Thatſache zu thun, daß dieſe farbebringenden
Eigenſchaften des Lichtes durch Refraction manifeſtirt
wuͤrden, und ſich eben auch ſo durch Reflexion, In-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0614" n="560"/>
eine zitternde Bewegung i&#x017F;t, und in der Luft nichts als die&#x017F;e<lb/>
Bewegung, die von dem Object fortgepflanzt wird, und im<lb/>
Sen&#x017F;orium das Gefu&#x0364;hl die&#x017F;er Bewegung, unter der Form des<lb/>
Klanges; eben &#x017F;o &#x017F;ind die Farben der Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde nur eine<lb/>
Dispo&#x017F;ition die&#x017F;e oder jene Art Strahlen ha&#x0364;ufiger als die<lb/>
u&#x0364;brigen zuru&#x0364;ckzuwerfen, in den Strahlen aber i&#x017F;t nichts als<lb/>
ihre Dispo&#x017F;itionen die&#x017F;e oder jene Bewegung bis zum Sen&#x017F;o-<lb/>
rium fortzupflanzen, und im Sen&#x017F;orium &#x017F;ind es Empfindun-<lb/>
gen die&#x017F;er Bewegungen, unter der Form von Farben.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>457.</head><lb/>
                <p>Wie unter der Rubrik einer Definition die&#x017F;e wun-<lb/>
derliche theoreti&#x017F;che Stelle hier einge&#x017F;chaltet wird, eini-<lb/>
germaßen begreiflich zu machen, i&#x017F;t hier vor allen<lb/>
Dingen un&#x017F;re Pflicht, weil wir allein dadurch zu einer<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ern Ein&#x017F;icht in die Stelle &#x017F;elb&#x017F;t gelangen ko&#x0364;nnen.<lb/>
Die Ge&#x017F;chichte der Farbenlehre benachrichtigt uns, daß<lb/>
&#x017F;ogleich als Newton mit &#x017F;einer Erkla&#x0364;rung des<lb/>
prismati&#x017F;chen Pha&#x0364;nomens hervortrat, die Naturfor&#x017F;cher<lb/>
der damaligen Zeit, wohlbemerkend, daß nach die&#x017F;er<lb/>
Art &#x017F;ich die Sache zu denken, die Farben ko&#x0364;rperlich<lb/>
in dem Lichte enthalten &#x017F;eyn mu&#x0364;ßten, ihm die damals<lb/>
&#x017F;ehr in Gun&#x017F;t &#x017F;tehende Theorie der Schwingungen ent-<lb/>
gegen &#x017F;etzten und behaupteten, daß die Farben bequemer<lb/>
und be&#x017F;&#x017F;er auf die&#x017F;em Wege erkla&#x0364;rt oder gedacht werden<lb/>
ko&#x0364;nnten. Newton erwiederte, daß es ganz gleichgu&#x0364;ltig<lb/>
&#x017F;ey, was man fu&#x0364;r eine ho&#x0364;here Theorie zu Erkla&#x0364;rung<lb/>
die&#x017F;er Pha&#x0364;nomene anwenden wolle; ihm &#x017F;ey es nur<lb/>
um die That&#x017F;ache zu thun, daß die&#x017F;e farbebringenden<lb/>
Eigen&#x017F;chaften des Lichtes durch Refraction manife&#x017F;tirt<lb/>
wu&#x0364;rden, und &#x017F;ich eben auch &#x017F;o durch Reflexion, In-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[560/0614] eine zitternde Bewegung iſt, und in der Luft nichts als dieſe Bewegung, die von dem Object fortgepflanzt wird, und im Senſorium das Gefuͤhl dieſer Bewegung, unter der Form des Klanges; eben ſo ſind die Farben der Gegenſtaͤnde nur eine Dispoſition dieſe oder jene Art Strahlen haͤufiger als die uͤbrigen zuruͤckzuwerfen, in den Strahlen aber iſt nichts als ihre Dispoſitionen dieſe oder jene Bewegung bis zum Senſo- rium fortzupflanzen, und im Senſorium ſind es Empfindun- gen dieſer Bewegungen, unter der Form von Farben. 457. Wie unter der Rubrik einer Definition dieſe wun- derliche theoretiſche Stelle hier eingeſchaltet wird, eini- germaßen begreiflich zu machen, iſt hier vor allen Dingen unſre Pflicht, weil wir allein dadurch zu einer beſſern Einſicht in die Stelle ſelbſt gelangen koͤnnen. Die Geſchichte der Farbenlehre benachrichtigt uns, daß ſogleich als Newton mit ſeiner Erklaͤrung des prismatiſchen Phaͤnomens hervortrat, die Naturforſcher der damaligen Zeit, wohlbemerkend, daß nach dieſer Art ſich die Sache zu denken, die Farben koͤrperlich in dem Lichte enthalten ſeyn muͤßten, ihm die damals ſehr in Gunſt ſtehende Theorie der Schwingungen ent- gegen ſetzten und behaupteten, daß die Farben bequemer und beſſer auf dieſem Wege erklaͤrt oder gedacht werden koͤnnten. Newton erwiederte, daß es ganz gleichguͤltig ſey, was man fuͤr eine hoͤhere Theorie zu Erklaͤrung dieſer Phaͤnomene anwenden wolle; ihm ſey es nur um die Thatſache zu thun, daß dieſe farbebringenden Eigenſchaften des Lichtes durch Refraction manifeſtirt wuͤrden, und ſich eben auch ſo durch Reflexion, In-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/614
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/614>, abgerufen am 23.12.2024.