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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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erscheinen die verschiedenen Theile des Spectrums unter ih-
ren eigenen Farben. Auf gleiche Weise behalten sie auch
ihre eigenen Farben, wenn sie auf das Papier fallen; aber
dort machen sie durch Verwirrung und vollkommene Mischung
aller Farben die Weiße des Lichts, welche von dorther zurück-
geworfen wird.

513.

Die ganze Erscheinung ist, wie gesagt, nichts als
eine unvollkommene Reflexion. Denn erstlich bedenke
man, daß das Spectrum selbst ein dunkles aus lauter
Schattenlichtern zusammengesetztes Bild sey. Man
bringe ihm nah an die Seite eine zwar weiße aber
doch rauhe Oberfläche, wie das Papier ist, so wird
jede Farbe des Spectrums von derselben obgleich nur
schwach reflectiren, und der aufmerksame Beobachter
wird die Farben noch recht gut unterscheiden können.
Weil aber das Papier auf jedem seiner Puncte von
allen Farben zugleich erleuchtet ist, so neutralisiren sie
sich gewissermaßen einander und es entsteht ein Däm-
merschein, dem man keine eigentliche Farbe zuschreiben
kann. Die Hellung dieses Dämmerscheins verhält sich
wie die Dämmerung des Spectrums selbst, keineswe-
ges aber wie die Hellung des weißen Lichtes, ehe es
Farben annahm und sich damit überzog. Und dieses
ist immer die Hauptsache welcher Newton ausweicht.
Denn man kann freylich aus sehr hellen Farben, auch
wenn sie körperlich sind, ein Grau zusammensetzen,
das sich aber, von weißer Kreide z. B., schon genug-
sam unterscheidet. Alles dieß ist in der Natur so ein-

erſcheinen die verſchiedenen Theile des Spectrums unter ih-
ren eigenen Farben. Auf gleiche Weiſe behalten ſie auch
ihre eigenen Farben, wenn ſie auf das Papier fallen; aber
dort machen ſie durch Verwirrung und vollkommene Miſchung
aller Farben die Weiße des Lichts, welche von dorther zuruͤck-
geworfen wird.

513.

Die ganze Erſcheinung iſt, wie geſagt, nichts als
eine unvollkommene Reflexion. Denn erſtlich bedenke
man, daß das Spectrum ſelbſt ein dunkles aus lauter
Schattenlichtern zuſammengeſetztes Bild ſey. Man
bringe ihm nah an die Seite eine zwar weiße aber
doch rauhe Oberflaͤche, wie das Papier iſt, ſo wird
jede Farbe des Spectrums von derſelben obgleich nur
ſchwach reflectiren, und der aufmerkſame Beobachter
wird die Farben noch recht gut unterſcheiden koͤnnen.
Weil aber das Papier auf jedem ſeiner Puncte von
allen Farben zugleich erleuchtet iſt, ſo neutraliſiren ſie
ſich gewiſſermaßen einander und es entſteht ein Daͤm-
merſchein, dem man keine eigentliche Farbe zuſchreiben
kann. Die Hellung dieſes Daͤmmerſcheins verhaͤlt ſich
wie die Daͤmmerung des Spectrums ſelbſt, keineswe-
ges aber wie die Hellung des weißen Lichtes, ehe es
Farben annahm und ſich damit uͤberzog. Und dieſes
iſt immer die Hauptſache welcher Newton ausweicht.
Denn man kann freylich aus ſehr hellen Farben, auch
wenn ſie koͤrperlich ſind, ein Grau zuſammenſetzen,
das ſich aber, von weißer Kreide z. B., ſchon genug-
ſam unterſcheidet. Alles dieß iſt in der Natur ſo ein-

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[582/0636] erſcheinen die verſchiedenen Theile des Spectrums unter ih- ren eigenen Farben. Auf gleiche Weiſe behalten ſie auch ihre eigenen Farben, wenn ſie auf das Papier fallen; aber dort machen ſie durch Verwirrung und vollkommene Miſchung aller Farben die Weiße des Lichts, welche von dorther zuruͤck- geworfen wird. 513. Die ganze Erſcheinung iſt, wie geſagt, nichts als eine unvollkommene Reflexion. Denn erſtlich bedenke man, daß das Spectrum ſelbſt ein dunkles aus lauter Schattenlichtern zuſammengeſetztes Bild ſey. Man bringe ihm nah an die Seite eine zwar weiße aber doch rauhe Oberflaͤche, wie das Papier iſt, ſo wird jede Farbe des Spectrums von derſelben obgleich nur ſchwach reflectiren, und der aufmerkſame Beobachter wird die Farben noch recht gut unterſcheiden koͤnnen. Weil aber das Papier auf jedem ſeiner Puncte von allen Farben zugleich erleuchtet iſt, ſo neutraliſiren ſie ſich gewiſſermaßen einander und es entſteht ein Daͤm- merſchein, dem man keine eigentliche Farbe zuſchreiben kann. Die Hellung dieſes Daͤmmerſcheins verhaͤlt ſich wie die Daͤmmerung des Spectrums ſelbſt, keineswe- ges aber wie die Hellung des weißen Lichtes, ehe es Farben annahm und ſich damit uͤberzog. Und dieſes iſt immer die Hauptſache welcher Newton ausweicht. Denn man kann freylich aus ſehr hellen Farben, auch wenn ſie koͤrperlich ſind, ein Grau zuſammenſetzen, das ſich aber, von weißer Kreide z. B., ſchon genug- ſam unterſcheidet. Alles dieß iſt in der Natur ſo ein-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/636>, abgerufen am 23.12.2024.