Sophist zwischen diesen beyden Arten die Sache darzu- stellen und zu denken einen Mittelstand, wo er, je nachdem es ihm nützt, eine von den beyden Arten braucht, oder vielmehr wo er sie beyde übereinander schiebt, wie wir gleich sehen werden.
583.
So ist offenbar, daß nichts weiter nöthig ist, um sie voll- kommen weiß zu machen, als ihr Licht hinlänglich zu vermeh- ren, und folglich, wenn man sie durch Vermehrung ihres Lichtes zur vollkommnen Weiße bringen kann, so sind sie von derselben Art Farbe, wie die besten Weißen, und unterschei- den sich allein durch die Quantität des Lichtes.
584.
Es ist ein großes Unheil, das nicht allein durch die Newtonische Optik, sondern durch mehrere Schrif- ten, besonders jener Zeit durchgeht, daß die Verfasser sich nicht bewußt sind, auf welchem Standpunct sie stehen, daß sie erst mitten in dem Realen stecken, auf einmal sich zu einer idealen Vorstellungsart erheben, und dann wieder ins Reale zurückfallen. Daher ent- stehn die wunderlichsten Vorstellungs- und Erklärungs- weisen, denen man einen gewissen Gehalt nicht ab- sprechen kann, deren Form aber einen innern Wider- spruch mit sich führt. Eben so ist es mit der Art, wie Newton nunmehr sein Hellgrau zum Weißen er- heben will.
585.
Ich nahm die dritte der oben gemeldeten grauen Mi-
Sophiſt zwiſchen dieſen beyden Arten die Sache darzu- ſtellen und zu denken einen Mittelſtand, wo er, je nachdem es ihm nuͤtzt, eine von den beyden Arten braucht, oder vielmehr wo er ſie beyde uͤbereinander ſchiebt, wie wir gleich ſehen werden.
583.
So iſt offenbar, daß nichts weiter noͤthig iſt, um ſie voll- kommen weiß zu machen, als ihr Licht hinlaͤnglich zu vermeh- ren, und folglich, wenn man ſie durch Vermehrung ihres Lichtes zur vollkommnen Weiße bringen kann, ſo ſind ſie von derſelben Art Farbe, wie die beſten Weißen, und unterſchei- den ſich allein durch die Quantitaͤt des Lichtes.
584.
Es iſt ein großes Unheil, das nicht allein durch die Newtoniſche Optik, ſondern durch mehrere Schrif- ten, beſonders jener Zeit durchgeht, daß die Verfaſſer ſich nicht bewußt ſind, auf welchem Standpunct ſie ſtehen, daß ſie erſt mitten in dem Realen ſtecken, auf einmal ſich zu einer idealen Vorſtellungsart erheben, und dann wieder ins Reale zuruͤckfallen. Daher ent- ſtehn die wunderlichſten Vorſtellungs- und Erklaͤrungs- weiſen, denen man einen gewiſſen Gehalt nicht ab- ſprechen kann, deren Form aber einen innern Wider- ſpruch mit ſich fuͤhrt. Eben ſo iſt es mit der Art, wie Newton nunmehr ſein Hellgrau zum Weißen er- heben will.
585.
Ich nahm die dritte der oben gemeldeten grauen Mi-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0664"n="610"/>
Sophiſt zwiſchen dieſen beyden Arten die Sache darzu-<lb/>ſtellen und zu denken einen Mittelſtand, wo er, je<lb/>
nachdem es ihm nuͤtzt, eine von den beyden Arten<lb/>
braucht, oder vielmehr wo er ſie beyde uͤbereinander<lb/>ſchiebt, wie wir gleich ſehen werden.</p></div><lb/><divn="5"><head>583.</head><lb/><p>So iſt offenbar, daß nichts weiter noͤthig iſt, um ſie voll-<lb/>
kommen weiß zu machen, als ihr Licht hinlaͤnglich zu vermeh-<lb/>
ren, und folglich, wenn man ſie durch Vermehrung ihres<lb/>
Lichtes zur vollkommnen Weiße bringen kann, ſo ſind ſie von<lb/>
derſelben Art Farbe, wie die beſten Weißen, und unterſchei-<lb/>
den ſich allein durch die Quantitaͤt des Lichtes.</p></div><lb/><divn="5"><head>584.</head><lb/><p>Es iſt ein großes Unheil, das nicht allein durch<lb/>
die Newtoniſche Optik, ſondern durch mehrere Schrif-<lb/>
ten, beſonders jener Zeit durchgeht, daß die Verfaſſer<lb/>ſich nicht bewußt ſind, auf welchem Standpunct ſie<lb/>ſtehen, daß ſie erſt mitten in dem Realen ſtecken, auf<lb/>
einmal ſich zu einer idealen Vorſtellungsart erheben,<lb/>
und dann wieder ins Reale zuruͤckfallen. Daher ent-<lb/>ſtehn die wunderlichſten Vorſtellungs- und Erklaͤrungs-<lb/>
weiſen, denen man einen gewiſſen Gehalt nicht ab-<lb/>ſprechen kann, deren Form aber einen innern Wider-<lb/>ſpruch mit ſich fuͤhrt. Eben ſo iſt es mit der Art,<lb/>
wie Newton nunmehr ſein Hellgrau zum Weißen er-<lb/>
heben will.</p></div><lb/><divn="5"><head>585.</head><lb/><p>Ich nahm die dritte der oben gemeldeten grauen Mi-<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[610/0664]
Sophiſt zwiſchen dieſen beyden Arten die Sache darzu-
ſtellen und zu denken einen Mittelſtand, wo er, je
nachdem es ihm nuͤtzt, eine von den beyden Arten
braucht, oder vielmehr wo er ſie beyde uͤbereinander
ſchiebt, wie wir gleich ſehen werden.
583.
So iſt offenbar, daß nichts weiter noͤthig iſt, um ſie voll-
kommen weiß zu machen, als ihr Licht hinlaͤnglich zu vermeh-
ren, und folglich, wenn man ſie durch Vermehrung ihres
Lichtes zur vollkommnen Weiße bringen kann, ſo ſind ſie von
derſelben Art Farbe, wie die beſten Weißen, und unterſchei-
den ſich allein durch die Quantitaͤt des Lichtes.
584.
Es iſt ein großes Unheil, das nicht allein durch
die Newtoniſche Optik, ſondern durch mehrere Schrif-
ten, beſonders jener Zeit durchgeht, daß die Verfaſſer
ſich nicht bewußt ſind, auf welchem Standpunct ſie
ſtehen, daß ſie erſt mitten in dem Realen ſtecken, auf
einmal ſich zu einer idealen Vorſtellungsart erheben,
und dann wieder ins Reale zuruͤckfallen. Daher ent-
ſtehn die wunderlichſten Vorſtellungs- und Erklaͤrungs-
weiſen, denen man einen gewiſſen Gehalt nicht ab-
ſprechen kann, deren Form aber einen innern Wider-
ſpruch mit ſich fuͤhrt. Eben ſo iſt es mit der Art,
wie Newton nunmehr ſein Hellgrau zum Weißen er-
heben will.
585.
Ich nahm die dritte der oben gemeldeten grauen Mi-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 610. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/664>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.