wir wollen: Zusammenziehen, Ausdehnen, Sammlen, Entbinden, Fesseln, Lösen, retrecir und developper etc. so finden wir keinen so geistig-körperlichen Aus- druck für das Pulsiren, in welchem sich Leben und Empfinden ausspricht. Ueberdieß sind die griechischen Ausdrücke Kunstworte, welche bey mehrern Gelegen- heiten vorkommen, wodurch sich ihre Bedeutsamkeit jedesmal vermehrt.
So entzückt uns denn auch in diesem Fall, wie in den übrigen, am Plato die heilige Scheu, womit er sich der Natur nähert, die Vorsicht, womit er sie gleichsam nur umtastet, und bey näherer Bekannt- schaft vor ihr sogleich wieder zurücktritt, jenes Er- staunen, das, wie er selbst sagt, den Philosophen so gut kleidet.
Den übrigen Gehalt jener kurzen aus dem Ti- mäus ausgezogenen Stelle bringen wir in dem Fol- genden nach, indem wir unter dem Namen des Ari- stoteles alles versammeln können, was den Alten über diesen Gegenstand bekannt gewesen.
Die Alten glaubten an ein ruhendes Licht im Auge; sie fühlten sodann als reine kräftige Menschen die Selbstthätigkeit dieses Organs und dessen Gegen- wirken gegen das Aeußre sichtbare; nur sprachen sie dieses Gefühl so wie des Fassens, des Ergreifens der Gegenstände mit dem Auge durch allzu krude Gleichnisse aus. Die Einwirkung des Auges nicht aufs Auge allein, sondern auch auf andre Gegenstände erschien
II. 8
wir wollen: Zuſammenziehen, Ausdehnen, Sammlen, Entbinden, Feſſeln, Loͤſen, rétrécir und développer etc. ſo finden wir keinen ſo geiſtig-koͤrperlichen Aus- druck fuͤr das Pulſiren, in welchem ſich Leben und Empfinden ausſpricht. Ueberdieß ſind die griechiſchen Ausdruͤcke Kunſtworte, welche bey mehrern Gelegen- heiten vorkommen, wodurch ſich ihre Bedeutſamkeit jedesmal vermehrt.
So entzuͤckt uns denn auch in dieſem Fall, wie in den uͤbrigen, am Plato die heilige Scheu, womit er ſich der Natur naͤhert, die Vorſicht, womit er ſie gleichſam nur umtaſtet, und bey naͤherer Bekannt- ſchaft vor ihr ſogleich wieder zuruͤcktritt, jenes Er- ſtaunen, das, wie er ſelbſt ſagt, den Philoſophen ſo gut kleidet.
Den uͤbrigen Gehalt jener kurzen aus dem Ti- maͤus ausgezogenen Stelle bringen wir in dem Fol- genden nach, indem wir unter dem Namen des Ari- ſtoteles alles verſammeln koͤnnen, was den Alten uͤber dieſen Gegenſtand bekannt geweſen.
Die Alten glaubten an ein ruhendes Licht im Auge; ſie fuͤhlten ſodann als reine kraͤftige Menſchen die Selbſtthaͤtigkeit dieſes Organs und deſſen Gegen- wirken gegen das Aeußre ſichtbare; nur ſprachen ſie dieſes Gefuͤhl ſo wie des Faſſens, des Ergreifens der Gegenſtaͤnde mit dem Auge durch allzu krude Gleichniſſe aus. Die Einwirkung des Auges nicht aufs Auge allein, ſondern auch auf andre Gegenſtaͤnde erſchien
II. 8
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wir wollen: Zuſammenziehen, Ausdehnen, Sammlen,
Entbinden, Feſſeln, Loͤſen, rétrécir und développer
etc. ſo finden wir keinen ſo geiſtig-koͤrperlichen Aus-
druck fuͤr das Pulſiren, in welchem ſich Leben und
Empfinden ausſpricht. Ueberdieß ſind die griechiſchen
Ausdruͤcke Kunſtworte, welche bey mehrern Gelegen-
heiten vorkommen, wodurch ſich ihre Bedeutſamkeit
jedesmal vermehrt.
So entzuͤckt uns denn auch in dieſem Fall, wie
in den uͤbrigen, am Plato die heilige Scheu, womit
er ſich der Natur naͤhert, die Vorſicht, womit er ſie
gleichſam nur umtaſtet, und bey naͤherer Bekannt-
ſchaft vor ihr ſogleich wieder zuruͤcktritt, jenes Er-
ſtaunen, das, wie er ſelbſt ſagt, den Philoſophen
ſo gut kleidet.
Den uͤbrigen Gehalt jener kurzen aus dem Ti-
maͤus ausgezogenen Stelle bringen wir in dem Fol-
genden nach, indem wir unter dem Namen des Ari-
ſtoteles alles verſammeln koͤnnen, was den Alten
uͤber dieſen Gegenſtand bekannt geweſen.
Die Alten glaubten an ein ruhendes Licht im
Auge; ſie fuͤhlten ſodann als reine kraͤftige Menſchen
die Selbſtthaͤtigkeit dieſes Organs und deſſen Gegen-
wirken gegen das Aeußre ſichtbare; nur ſprachen ſie
dieſes Gefuͤhl ſo wie des Faſſens, des Ergreifens der
Gegenſtaͤnde mit dem Auge durch allzu krude Gleichniſſe
aus. Die Einwirkung des Auges nicht aufs Auge
allein, ſondern auch auf andre Gegenſtaͤnde erſchien
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/147>, abgerufen am 21.11.2024.
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