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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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wandten Mathematik geht es ihm, wie bey der reinen.
Wie er jene anwendete, wo sie nicht hingehörte, so
traut er dieser zu, was sie nicht leisten kann.

Durch die von ihm beschriebenen Gläser soll man
nicht allein die entferntesten Gegenstände ganz nah, die
kleinsten ungeheuer groß im eignen Auge wahrnehmen;
sondern diese und andre Bilder sollen auch hinaus in
die Luft, in die Atmosphäre, geworfen einer Menge
zur Erscheinung kommen. Zwar ist auch dieses nicht
ohne Grund. So mancherley Naturerscheinungen, die
auf Refraction und Reflexion beruhen, die viel spä-
ter erfundene Camera obscura, die Zauberlaterne,
das Sonnenmikroscop und ihre verschiedenen Anwen-
dungen haben sein Vorausgesagtes fast buchstäblich
wahr gemacht, weil er alle diese Folgen voraussah.
Aber die Art, wie er sich über diese Dinge äußert,
zeigt, daß sein Apparat nur in seinem Geiste gewirkt
und daß daher manche imaginäre Resultate entsprungen
seyn mögen.

Zunächst bemerken wir, daß er, wie alle Erfinder,
weit schauende und geistig lebhaft wirkende Menschen,
von seinen Zeitgenossen angegangen worden, auch un-
mittelbar etwas zu ihrem Nutzen zu thun. Der Mensch
ist so ein Lust- und Hülfsbedürftiges Wesen, daß man
ihm nicht verargen kann, wenn er sich überall umsieht,
wo er im Glück einigen Spaß und in der Bedrängtheit
einigen Beystand finden kann.

II. 11

wandten Mathematik geht es ihm, wie bey der reinen.
Wie er jene anwendete, wo ſie nicht hingehoͤrte, ſo
traut er dieſer zu, was ſie nicht leiſten kann.

Durch die von ihm beſchriebenen Glaͤſer ſoll man
nicht allein die entfernteſten Gegenſtaͤnde ganz nah, die
kleinſten ungeheuer groß im eignen Auge wahrnehmen;
ſondern dieſe und andre Bilder ſollen auch hinaus in
die Luft, in die Atmosphaͤre, geworfen einer Menge
zur Erſcheinung kommen. Zwar iſt auch dieſes nicht
ohne Grund. So mancherley Naturerſcheinungen, die
auf Refraction und Reflexion beruhen, die viel ſpaͤ-
ter erfundene Camera obscura, die Zauberlaterne,
das Sonnenmikroſcop und ihre verſchiedenen Anwen-
dungen haben ſein Vorausgeſagtes faſt buchſtaͤblich
wahr gemacht, weil er alle dieſe Folgen vorausſah.
Aber die Art, wie er ſich uͤber dieſe Dinge aͤußert,
zeigt, daß ſein Apparat nur in ſeinem Geiſte gewirkt
und daß daher manche imaginaͤre Reſultate entſprungen
ſeyn moͤgen.

Zunaͤchſt bemerken wir, daß er, wie alle Erfinder,
weit ſchauende und geiſtig lebhaft wirkende Menſchen,
von ſeinen Zeitgenoſſen angegangen worden, auch un-
mittelbar etwas zu ihrem Nutzen zu thun. Der Menſch
iſt ſo ein Luſt- und Huͤlfsbeduͤrftiges Weſen, daß man
ihm nicht verargen kann, wenn er ſich uͤberall umſieht,
wo er im Gluͤck einigen Spaß und in der Bedraͤngtheit
einigen Beyſtand finden kann.

II. 11
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[161/0195] wandten Mathematik geht es ihm, wie bey der reinen. Wie er jene anwendete, wo ſie nicht hingehoͤrte, ſo traut er dieſer zu, was ſie nicht leiſten kann. Durch die von ihm beſchriebenen Glaͤſer ſoll man nicht allein die entfernteſten Gegenſtaͤnde ganz nah, die kleinſten ungeheuer groß im eignen Auge wahrnehmen; ſondern dieſe und andre Bilder ſollen auch hinaus in die Luft, in die Atmosphaͤre, geworfen einer Menge zur Erſcheinung kommen. Zwar iſt auch dieſes nicht ohne Grund. So mancherley Naturerſcheinungen, die auf Refraction und Reflexion beruhen, die viel ſpaͤ- ter erfundene Camera obscura, die Zauberlaterne, das Sonnenmikroſcop und ihre verſchiedenen Anwen- dungen haben ſein Vorausgeſagtes faſt buchſtaͤblich wahr gemacht, weil er alle dieſe Folgen vorausſah. Aber die Art, wie er ſich uͤber dieſe Dinge aͤußert, zeigt, daß ſein Apparat nur in ſeinem Geiſte gewirkt und daß daher manche imaginaͤre Reſultate entſprungen ſeyn moͤgen. Zunaͤchſt bemerken wir, daß er, wie alle Erfinder, weit ſchauende und geiſtig lebhaft wirkende Menſchen, von ſeinen Zeitgenoſſen angegangen worden, auch un- mittelbar etwas zu ihrem Nutzen zu thun. Der Menſch iſt ſo ein Luſt- und Huͤlfsbeduͤrftiges Weſen, daß man ihm nicht verargen kann, wenn er ſich uͤberall umſieht, wo er im Gluͤck einigen Spaß und in der Bedraͤngtheit einigen Beyſtand finden kann. II. 11

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/195>, abgerufen am 21.11.2024.