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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Den Mathematikern sind von jeher die Kriegshel-
den auf der Spur gewesen, weil man seine Macht
gern mechanisch vermehren und jeder Uebermacht große
Wirkungen mit geringen Kräften entgegensetzen möchte.
Daher findet sich bey Baco die Wiederhohlung älterer
und die Zusicherung neuer dergleichen Hülfsmittel.
Brennspiegel, um in der Ferne die Sonnenstrahlen zu
concentriren, Vervielfältigungsspiegel, wodurch dem
Feinde wenige Truppen als eine große Anzahl erschie-
nen, und andre solche Dinge kommen bey ihm vor, die
wunderbar genug aussehen, und die dennoch bey erhöh-
ter Technik, geübtester Taschenspielerkunst, und auf
andre Weise wenigstens zum Theil möglich gemacht
worden.

Daß man ihn der Irrlehre angeklagt, das Schick-
sal hat er mit allen denen gemein, die ihrer Zeit vor-
laufen; daß man ihn der Zauberey bezüchtigt, war da-
mals ganz natürlich. Aber seine Zeit nicht allein be-
ging diese Uebereilung, daß sie das, was tiefen, unbe-
kannten, festgegründeten, consequenten, ewigen Natur-
kräften möglich ist, als dem Willen und der Willkühr
unterworfen, als zufällig herbeygerufen, im Widerstreit
mit Gott und der Natur gelten ließ.

Auch hierüber ist der Mensch weder zu schelten
noch zu bedauern: denn diese Art von Aberglauben
wird er nicht los werden, so lange die Menschheit
existirt. Ein solcher Aberglaube erscheint immer wieder,
nur unter einer andern Form. Der Mensch sieht nur

Den Mathematikern ſind von jeher die Kriegshel-
den auf der Spur geweſen, weil man ſeine Macht
gern mechaniſch vermehren und jeder Uebermacht große
Wirkungen mit geringen Kraͤften entgegenſetzen moͤchte.
Daher findet ſich bey Baco die Wiederhohlung aͤlterer
und die Zuſicherung neuer dergleichen Huͤlfsmittel.
Brennſpiegel, um in der Ferne die Sonnenſtrahlen zu
concentriren, Vervielfaͤltigungsſpiegel, wodurch dem
Feinde wenige Truppen als eine große Anzahl erſchie-
nen, und andre ſolche Dinge kommen bey ihm vor, die
wunderbar genug ausſehen, und die dennoch bey erhoͤh-
ter Technik, geuͤbteſter Taſchenſpielerkunſt, und auf
andre Weiſe wenigſtens zum Theil moͤglich gemacht
worden.

Daß man ihn der Irrlehre angeklagt, das Schick-
ſal hat er mit allen denen gemein, die ihrer Zeit vor-
laufen; daß man ihn der Zauberey bezuͤchtigt, war da-
mals ganz natuͤrlich. Aber ſeine Zeit nicht allein be-
ging dieſe Uebereilung, daß ſie das, was tiefen, unbe-
kannten, feſtgegruͤndeten, conſequenten, ewigen Natur-
kraͤften moͤglich iſt, als dem Willen und der Willkuͤhr
unterworfen, als zufaͤllig herbeygerufen, im Widerſtreit
mit Gott und der Natur gelten ließ.

Auch hieruͤber iſt der Menſch weder zu ſchelten
noch zu bedauern: denn dieſe Art von Aberglauben
wird er nicht los werden, ſo lange die Menſchheit
exiſtirt. Ein ſolcher Aberglaube erſcheint immer wieder,
nur unter einer andern Form. Der Menſch ſieht nur

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[162/0196] Den Mathematikern ſind von jeher die Kriegshel- den auf der Spur geweſen, weil man ſeine Macht gern mechaniſch vermehren und jeder Uebermacht große Wirkungen mit geringen Kraͤften entgegenſetzen moͤchte. Daher findet ſich bey Baco die Wiederhohlung aͤlterer und die Zuſicherung neuer dergleichen Huͤlfsmittel. Brennſpiegel, um in der Ferne die Sonnenſtrahlen zu concentriren, Vervielfaͤltigungsſpiegel, wodurch dem Feinde wenige Truppen als eine große Anzahl erſchie- nen, und andre ſolche Dinge kommen bey ihm vor, die wunderbar genug ausſehen, und die dennoch bey erhoͤh- ter Technik, geuͤbteſter Taſchenſpielerkunſt, und auf andre Weiſe wenigſtens zum Theil moͤglich gemacht worden. Daß man ihn der Irrlehre angeklagt, das Schick- ſal hat er mit allen denen gemein, die ihrer Zeit vor- laufen; daß man ihn der Zauberey bezuͤchtigt, war da- mals ganz natuͤrlich. Aber ſeine Zeit nicht allein be- ging dieſe Uebereilung, daß ſie das, was tiefen, unbe- kannten, feſtgegruͤndeten, conſequenten, ewigen Natur- kraͤften moͤglich iſt, als dem Willen und der Willkuͤhr unterworfen, als zufaͤllig herbeygerufen, im Widerſtreit mit Gott und der Natur gelten ließ. Auch hieruͤber iſt der Menſch weder zu ſchelten noch zu bedauern: denn dieſe Art von Aberglauben wird er nicht los werden, ſo lange die Menſchheit exiſtirt. Ein ſolcher Aberglaube erſcheint immer wieder, nur unter einer andern Form. Der Menſch ſieht nur

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/196>, abgerufen am 24.11.2024.