Wenn wir eine Zeitlang irgend ein Licht an- schauen, und sodann die Augen schließen, so schweben vor unserm Blick gewisse leuchtende Farben, die sich verschiedentlich verändern und nach und nach weniger glänzen, bis sie zuletzt gänzlich verschwinden. Diese können wir für das überbleibende jener Form halten, welche in dem Sinn erregt ward, indem wir das leuchtende Bild erblickten.
Themistius.
Wenn Jemand den Blick von einem Gegenstande, den er aufs schärfste betrachtet hat, wegwendet, so wird ihn doch die Gestalt der Sache, die er anschaute, begleiten, als wenn der frühere Anstoß die Augen be- stimmt und in Besitz genommen hätte. Deshalb, wenn Jemand aus dem Sonnenschein sich ins Finstere be- gibt, sehen die vor großem Glanz irre gewordenen Au- gen nichts; auch wenn du etwas sehr Glänzendes oder Grünes länger angesehen, so wird alles, was dir hernach in die Augen fällt, gleichfarbig erscheinen. Nicht weniger, wenn du die Augen gegen die Sonne, oder sonst etwas glänzendes richtest, und sodann zu- drückst; so wirst du eine Farbe sehen, wie etwa Weiß oder Grün, welche sich alsdann in Hochroth verwan- delt, sodann in Purpur, nachher in andre Farben, zu- letzt ins Schwarze, von da an aber abnimmt und ver schwindet. Gleichermaßen zerrüttet auch das, was sich
Auguſtinus.
Wenn wir eine Zeitlang irgend ein Licht an- ſchauen, und ſodann die Augen ſchließen, ſo ſchweben vor unſerm Blick gewiſſe leuchtende Farben, die ſich verſchiedentlich veraͤndern und nach und nach weniger glaͤnzen, bis ſie zuletzt gaͤnzlich verſchwinden. Dieſe koͤnnen wir fuͤr das uͤberbleibende jener Form halten, welche in dem Sinn erregt ward, indem wir das leuchtende Bild erblickten.
Themiſtius.
Wenn Jemand den Blick von einem Gegenſtande, den er aufs ſchaͤrfſte betrachtet hat, wegwendet, ſo wird ihn doch die Geſtalt der Sache, die er anſchaute, begleiten, als wenn der fruͤhere Anſtoß die Augen be- ſtimmt und in Beſitz genommen haͤtte. Deshalb, wenn Jemand aus dem Sonnenſchein ſich ins Finſtere be- gibt, ſehen die vor großem Glanz irre gewordenen Au- gen nichts; auch wenn du etwas ſehr Glaͤnzendes oder Gruͤnes laͤnger angeſehen, ſo wird alles, was dir hernach in die Augen faͤllt, gleichfarbig erſcheinen. Nicht weniger, wenn du die Augen gegen die Sonne, oder ſonſt etwas glaͤnzendes richteſt, und ſodann zu- druͤckſt; ſo wirſt du eine Farbe ſehen, wie etwa Weiß oder Gruͤn, welche ſich alsdann in Hochroth verwan- delt, ſodann in Purpur, nachher in andre Farben, zu- letzt ins Schwarze, von da an aber abnimmt und ver ſchwindet. Gleichermaßen zerruͤttet auch das, was ſich
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Auguſtinus.
Wenn wir eine Zeitlang irgend ein Licht an-
ſchauen, und ſodann die Augen ſchließen, ſo ſchweben
vor unſerm Blick gewiſſe leuchtende Farben, die ſich
verſchiedentlich veraͤndern und nach und nach weniger
glaͤnzen, bis ſie zuletzt gaͤnzlich verſchwinden. Dieſe
koͤnnen wir fuͤr das uͤberbleibende jener Form halten,
welche in dem Sinn erregt ward, indem wir das
leuchtende Bild erblickten.
Themiſtius.
Wenn Jemand den Blick von einem Gegenſtande,
den er aufs ſchaͤrfſte betrachtet hat, wegwendet, ſo
wird ihn doch die Geſtalt der Sache, die er anſchaute,
begleiten, als wenn der fruͤhere Anſtoß die Augen be-
ſtimmt und in Beſitz genommen haͤtte. Deshalb, wenn
Jemand aus dem Sonnenſchein ſich ins Finſtere be-
gibt, ſehen die vor großem Glanz irre gewordenen Au-
gen nichts; auch wenn du etwas ſehr Glaͤnzendes
oder Gruͤnes laͤnger angeſehen, ſo wird alles, was dir
hernach in die Augen faͤllt, gleichfarbig erſcheinen.
Nicht weniger, wenn du die Augen gegen die Sonne,
oder ſonſt etwas glaͤnzendes richteſt, und ſodann zu-
druͤckſt; ſo wirſt du eine Farbe ſehen, wie etwa Weiß
oder Gruͤn, welche ſich alsdann in Hochroth verwan-
delt, ſodann in Purpur, nachher in andre Farben, zu-
letzt ins Schwarze, von da an aber abnimmt und ver
ſchwindet. Gleichermaßen zerruͤttet auch das, was ſich
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/199>, abgerufen am 24.11.2024.
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