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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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schnell bewegt, unsere Augen, so daß, wenn du in
einen reißenden Strom hinabsiehst, eine Art von Schäu-
men und Schwindel in dir entsteht, und auch das
Stillstehende sich vor dir zu bewegen scheint.


Lust am Geheimniß.

Das Ueberlieferte war schon zu einer großen Masse
angewachsen, die Schriften aber, die es enthielten, nur
im Besitz von wenigen; jene Schätze, die von Griechen,
Römern und Arabern übrig geblieben waren, sah man
nur durch einen Flor; die vermittelnden Kenntnisse
mangelten; es fehlte völlig an Critik; apocryphische
Schriften galten den ächten gleich, ja es fand sich
mehr Neigung zu jenen als zu diesen.

Eben so drängten sich die Beobachtungen einer erst
wieder neu und frisch erblickten Natur auf. Wer woll-
te sie sondern, ordnen und nutzen? Was jeder Ein-
zelne erfahren hatte, wollte er auch sich zu Vortheil
und Ehre gebrauchen; beydes wird mehr durch Vor-
urtheile als durch Wahrhaftigkeit erlangt. Wie nun
die früheren, um die Gewandtheit ihrer dialectischen
Formen zu zeigen, auf allen Cathedern sich öffentlich
hören ließen; so fühlte man später, daß man mit ei-
nem gehaltreichen Besitz Ursach hatte sparsamer umzu-
gehen. Man verbarg, was dem Verbergenden selbst

ſchnell bewegt, unſere Augen, ſo daß, wenn du in
einen reißenden Strom hinabſiehſt, eine Art von Schaͤu-
men und Schwindel in dir entſteht, und auch das
Stillſtehende ſich vor dir zu bewegen ſcheint.


Luſt am Geheimniß.

Das Ueberlieferte war ſchon zu einer großen Maſſe
angewachſen, die Schriften aber, die es enthielten, nur
im Beſitz von wenigen; jene Schaͤtze, die von Griechen,
Roͤmern und Arabern uͤbrig geblieben waren, ſah man
nur durch einen Flor; die vermittelnden Kenntniſſe
mangelten; es fehlte voͤllig an Critik; apocryphiſche
Schriften galten den aͤchten gleich, ja es fand ſich
mehr Neigung zu jenen als zu dieſen.

Eben ſo draͤngten ſich die Beobachtungen einer erſt
wieder neu und friſch erblickten Natur auf. Wer woll-
te ſie ſondern, ordnen und nutzen? Was jeder Ein-
zelne erfahren hatte, wollte er auch ſich zu Vortheil
und Ehre gebrauchen; beydes wird mehr durch Vor-
urtheile als durch Wahrhaftigkeit erlangt. Wie nun
die fruͤheren, um die Gewandtheit ihrer dialectiſchen
Formen zu zeigen, auf allen Cathedern ſich oͤffentlich
hoͤren ließen; ſo fuͤhlte man ſpaͤter, daß man mit ei-
nem gehaltreichen Beſitz Urſach hatte ſparſamer umzu-
gehen. Man verbarg, was dem Verbergenden ſelbſt

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[166/0200] ſchnell bewegt, unſere Augen, ſo daß, wenn du in einen reißenden Strom hinabſiehſt, eine Art von Schaͤu- men und Schwindel in dir entſteht, und auch das Stillſtehende ſich vor dir zu bewegen ſcheint. Luſt am Geheimniß. Das Ueberlieferte war ſchon zu einer großen Maſſe angewachſen, die Schriften aber, die es enthielten, nur im Beſitz von wenigen; jene Schaͤtze, die von Griechen, Roͤmern und Arabern uͤbrig geblieben waren, ſah man nur durch einen Flor; die vermittelnden Kenntniſſe mangelten; es fehlte voͤllig an Critik; apocryphiſche Schriften galten den aͤchten gleich, ja es fand ſich mehr Neigung zu jenen als zu dieſen. Eben ſo draͤngten ſich die Beobachtungen einer erſt wieder neu und friſch erblickten Natur auf. Wer woll- te ſie ſondern, ordnen und nutzen? Was jeder Ein- zelne erfahren hatte, wollte er auch ſich zu Vortheil und Ehre gebrauchen; beydes wird mehr durch Vor- urtheile als durch Wahrhaftigkeit erlangt. Wie nun die fruͤheren, um die Gewandtheit ihrer dialectiſchen Formen zu zeigen, auf allen Cathedern ſich oͤffentlich hoͤren ließen; ſo fuͤhlte man ſpaͤter, daß man mit ei- nem gehaltreichen Beſitz Urſach hatte ſparſamer umzu- gehen. Man verbarg, was dem Verbergenden ſelbſt

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/200>, abgerufen am 21.11.2024.