die Menschen im Einzelnen und im Ganzen abhalten vorwärts zu schreiten. Höchst unerfreulich dagegen die Unempfindlichkeit gegen Verdienste der Vorgänger, ge- gen die Würde des Alterthums. Denn wie kann man mit Gelassenheit anhören, wenn er die Werke des Aristoteles und Plato leichten Tafeln vergleicht, die eben, weil sie aus keiner tüchtigen gehaltvollen Masse bestün- den, auf der Zeitfluth gar wohl zu uns herüber ge- schwemmt werden können. Im zweyten Theil sind un- erfreulich seine Forderungen, die alle mir nach der Breite gehen, seine Methode, die nicht constructiv ist, sich nicht in sich selbst abschließt, nicht einmal auf ein Ziel hinweist, sondern zum Vereinzeln Anlaß gibt. Höchst erfreulich hingegen ist sein Aufregen, Aufmun- tern und Verheißen.
Aus dem Erfreulichen ist sein Ruf entstanden: denn wer läßt sich nicht gern die Mängel vergangener Zeiten vorerzählen? wer vertraut nicht auf sich selbst, wer hofft nicht auf die Nachwelt? Das Unerfreuliche dagegen wird zwar von Einsichtsvolleren bemerkt, aber wie billig geschont und verziehen.
Aus dieser Betrachtung getrauen wir uns das Räthsel aufzulösen, daß Baco so viel von sich reden machen konnte, ohne zu wirken, ja daß seine Wirkung mehr schädlich als nützlich gewesen. Denn da seine Methode, in sofern man ihm eine zuschreiben kann, höchst peinlich ist, so entstand weder um ihn noch um seinen Nachlaß eine Schule. Es mußten und
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die Menſchen im Einzelnen und im Ganzen abhalten vorwaͤrts zu ſchreiten. Hoͤchſt unerfreulich dagegen die Unempfindlichkeit gegen Verdienſte der Vorgaͤnger, ge- gen die Wuͤrde des Alterthums. Denn wie kann man mit Gelaſſenheit anhoͤren, wenn er die Werke des Ariſtoteles und Plato leichten Tafeln vergleicht, die eben, weil ſie aus keiner tuͤchtigen gehaltvollen Maſſe beſtuͤn- den, auf der Zeitfluth gar wohl zu uns heruͤber ge- ſchwemmt werden koͤnnen. Im zweyten Theil ſind un- erfreulich ſeine Forderungen, die alle mir nach der Breite gehen, ſeine Methode, die nicht conſtructiv iſt, ſich nicht in ſich ſelbſt abſchließt, nicht einmal auf ein Ziel hinweiſt, ſondern zum Vereinzeln Anlaß gibt. Hoͤchſt erfreulich hingegen iſt ſein Aufregen, Aufmun- tern und Verheißen.
Aus dem Erfreulichen iſt ſein Ruf entſtanden: denn wer laͤßt ſich nicht gern die Maͤngel vergangener Zeiten vorerzaͤhlen? wer vertraut nicht auf ſich ſelbſt, wer hofft nicht auf die Nachwelt? Das Unerfreuliche dagegen wird zwar von Einſichtsvolleren bemerkt, aber wie billig geſchont und verziehen.
Aus dieſer Betrachtung getrauen wir uns das Raͤthſel aufzuloͤſen, daß Baco ſo viel von ſich reden machen konnte, ohne zu wirken, ja daß ſeine Wirkung mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich geweſen. Denn da ſeine Methode, in ſofern man ihm eine zuſchreiben kann, hoͤchſt peinlich iſt, ſo entſtand weder um ihn noch um ſeinen Nachlaß eine Schule. Es mußten und
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die Menſchen im Einzelnen und im Ganzen abhalten
vorwaͤrts zu ſchreiten. Hoͤchſt unerfreulich dagegen die
Unempfindlichkeit gegen Verdienſte der Vorgaͤnger, ge-
gen die Wuͤrde des Alterthums. Denn wie kann man
mit Gelaſſenheit anhoͤren, wenn er die Werke des
Ariſtoteles und Plato leichten Tafeln vergleicht, die eben,
weil ſie aus keiner tuͤchtigen gehaltvollen Maſſe beſtuͤn-
den, auf der Zeitfluth gar wohl zu uns heruͤber ge-
ſchwemmt werden koͤnnen. Im zweyten Theil ſind un-
erfreulich ſeine Forderungen, die alle mir nach der
Breite gehen, ſeine Methode, die nicht conſtructiv iſt,
ſich nicht in ſich ſelbſt abſchließt, nicht einmal auf ein
Ziel hinweiſt, ſondern zum Vereinzeln Anlaß gibt.
Hoͤchſt erfreulich hingegen iſt ſein Aufregen, Aufmun-
tern und Verheißen.
Aus dem Erfreulichen iſt ſein Ruf entſtanden:
denn wer laͤßt ſich nicht gern die Maͤngel vergangener
Zeiten vorerzaͤhlen? wer vertraut nicht auf ſich ſelbſt,
wer hofft nicht auf die Nachwelt? Das Unerfreuliche
dagegen wird zwar von Einſichtsvolleren bemerkt, aber
wie billig geſchont und verziehen.
Aus dieſer Betrachtung getrauen wir uns das
Raͤthſel aufzuloͤſen, daß Baco ſo viel von ſich reden
machen konnte, ohne zu wirken, ja daß ſeine Wirkung
mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich geweſen. Denn da ſeine
Methode, in ſofern man ihm eine zuſchreiben kann,
hoͤchſt peinlich iſt, ſo entſtand weder um ihn noch
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/261>, abgerufen am 25.11.2024.
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