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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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laß. Der mittelländische Deutsche findet sich eingela-
den, in dem abgeschlossenen Kreise des Bergwesens zu
verweilen, sich zu concentriren und ein beschränktes
Ganzes wissenschaftlich auszubilden. Baco als ein meer-
umgebener Insulaner, Glied einer Nation, die sich mit
der ganzen Welt im Rapport sah, wird durch die äu-
ßern Umstände bewogen, ins Breite und Unendliche zu
gehen, und das unsicherste aller Naturphänomene, die
Winde, als Hauptaugenmerk zu fassen, weil Winde
den Schifffahrern von so großer Bedeutung sind.


Daß die Weltgeschichte von Zeit zu Zeit umge-
schrieben werden müsse, darüber ist in unsern Tagen
wohl kein Zweifel übrig geblieben. Eine solche Noth-
wendigkeit entsteht aber nicht etwa daher, weil viel
Geschehenes nachentdeckt worden, sondern weil neue
Ansichten gegeben werden, weil der Genosse einer fort-
schreitenden Zeit auf Standpuncte geführt wird, von
welchen sich das Vergangene auf eine neue Weise über-
schauen und beurtheilen läßt. Eben so ist es in den
Wissenschaften. Nicht allein die Entdeckung von bis-
her unbekannten Naturverhältnissen und Gegenständen,
sondern auch die abwechselnden vorschreitenden Gesin-
nungen und Meynungen verändern sehr vieles und sind
werth von Zeit zu Zeit beachtet zu werden. Besonders
würde sichs nöthig machen, das vergangene achtzehnte
Jahrhundert in diesem Sinne zu controliren. Bey sei-
nen großen Verdiensten hegte und pflegte es manche
Mängel und that den vorhergehenden Jahrhunderten,

laß. Der mittellaͤndiſche Deutſche findet ſich eingela-
den, in dem abgeſchloſſenen Kreiſe des Bergweſens zu
verweilen, ſich zu concentriren und ein beſchraͤnktes
Ganzes wiſſenſchaftlich auszubilden. Baco als ein meer-
umgebener Inſulaner, Glied einer Nation, die ſich mit
der ganzen Welt im Rapport ſah, wird durch die aͤu-
ßern Umſtaͤnde bewogen, ins Breite und Unendliche zu
gehen, und das unſicherſte aller Naturphaͤnomene, die
Winde, als Hauptaugenmerk zu faſſen, weil Winde
den Schifffahrern von ſo großer Bedeutung ſind.


Daß die Weltgeſchichte von Zeit zu Zeit umge-
ſchrieben werden muͤſſe, daruͤber iſt in unſern Tagen
wohl kein Zweifel uͤbrig geblieben. Eine ſolche Noth-
wendigkeit entſteht aber nicht etwa daher, weil viel
Geſchehenes nachentdeckt worden, ſondern weil neue
Anſichten gegeben werden, weil der Genoſſe einer fort-
ſchreitenden Zeit auf Standpuncte gefuͤhrt wird, von
welchen ſich das Vergangene auf eine neue Weiſe uͤber-
ſchauen und beurtheilen laͤßt. Eben ſo iſt es in den
Wiſſenſchaften. Nicht allein die Entdeckung von bis-
her unbekannten Naturverhaͤltniſſen und Gegenſtaͤnden,
ſondern auch die abwechſelnden vorſchreitenden Geſin-
nungen und Meynungen veraͤndern ſehr vieles und ſind
werth von Zeit zu Zeit beachtet zu werden. Beſonders
wuͤrde ſichs noͤthig machen, das vergangene achtzehnte
Jahrhundert in dieſem Sinne zu controliren. Bey ſei-
nen großen Verdienſten hegte und pflegte es manche
Maͤngel und that den vorhergehenden Jahrhunderten,

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[238/0272] laß. Der mittellaͤndiſche Deutſche findet ſich eingela- den, in dem abgeſchloſſenen Kreiſe des Bergweſens zu verweilen, ſich zu concentriren und ein beſchraͤnktes Ganzes wiſſenſchaftlich auszubilden. Baco als ein meer- umgebener Inſulaner, Glied einer Nation, die ſich mit der ganzen Welt im Rapport ſah, wird durch die aͤu- ßern Umſtaͤnde bewogen, ins Breite und Unendliche zu gehen, und das unſicherſte aller Naturphaͤnomene, die Winde, als Hauptaugenmerk zu faſſen, weil Winde den Schifffahrern von ſo großer Bedeutung ſind. Daß die Weltgeſchichte von Zeit zu Zeit umge- ſchrieben werden muͤſſe, daruͤber iſt in unſern Tagen wohl kein Zweifel uͤbrig geblieben. Eine ſolche Noth- wendigkeit entſteht aber nicht etwa daher, weil viel Geſchehenes nachentdeckt worden, ſondern weil neue Anſichten gegeben werden, weil der Genoſſe einer fort- ſchreitenden Zeit auf Standpuncte gefuͤhrt wird, von welchen ſich das Vergangene auf eine neue Weiſe uͤber- ſchauen und beurtheilen laͤßt. Eben ſo iſt es in den Wiſſenſchaften. Nicht allein die Entdeckung von bis- her unbekannten Naturverhaͤltniſſen und Gegenſtaͤnden, ſondern auch die abwechſelnden vorſchreitenden Geſin- nungen und Meynungen veraͤndern ſehr vieles und ſind werth von Zeit zu Zeit beachtet zu werden. Beſonders wuͤrde ſichs noͤthig machen, das vergangene achtzehnte Jahrhundert in dieſem Sinne zu controliren. Bey ſei- nen großen Verdienſten hegte und pflegte es manche Maͤngel und that den vorhergehenden Jahrhunderten,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/272>, abgerufen am 26.11.2024.