Wenn die Frage: welcher Zeit der Mensch eigent- lich angehöre? gewissermaßen wunderlich und müßig scheint, so regt sie doch ganz eigene Betrachtungen auf, die uns interessiren und unterhalten könnten.
Das Leben jedes bedeutenden Menschen, das nicht durch einen frühen Tod abgebrochen wird, läßt sich in drey Epochen theilen, in die der ersten Bildung, in die des eigenthümlichen Strebens, und in die des Ge- langens zum Ziele, zur Vollendung.
Meistens kann man nur von der ersten sagen, daß die Zeit Ehre von ihr habe: denn erstlich deutet der Werth eines Menschen auf die Natur und Kraft der in seiner Geburts-Epoche Zeugenden; das Geschlecht, aus dem er stammt, manifestirt sich in ihm öfters mehr als durch sich selbst, und das Jahr der Geburt eines Jeden enthält in diesem Sinne eigentlich das wahre Nativitäts-Prognosticon mehr in dem Zusammentreffen irdischer Dinge, als im Aufeinanderwirken himmlischer Gestirne.
Sodann wird das Kind gewöhnlich mit Freund- lichkeit aufgenommen, gepflegt und Jedermann erfreut sich dessen was es verspricht. Jeder Vater, jeder Leh- rer sucht die Anlagen nach seinen Einsichten und Fä- higkeiten bestens zu entwickeln, und wenigstens ist es der gute Wille, der alle die Umgebungen des Knaben
16 *
Allgemeine Betrachtungen.
Wenn die Frage: welcher Zeit der Menſch eigent- lich angehoͤre? gewiſſermaßen wunderlich und muͤßig ſcheint, ſo regt ſie doch ganz eigene Betrachtungen auf, die uns intereſſiren und unterhalten koͤnnten.
Das Leben jedes bedeutenden Menſchen, das nicht durch einen fruͤhen Tod abgebrochen wird, laͤßt ſich in drey Epochen theilen, in die der erſten Bildung, in die des eigenthuͤmlichen Strebens, und in die des Ge- langens zum Ziele, zur Vollendung.
Meiſtens kann man nur von der erſten ſagen, daß die Zeit Ehre von ihr habe: denn erſtlich deutet der Werth eines Menſchen auf die Natur und Kraft der in ſeiner Geburts-Epoche Zeugenden; das Geſchlecht, aus dem er ſtammt, manifeſtirt ſich in ihm oͤfters mehr als durch ſich ſelbſt, und das Jahr der Geburt eines Jeden enthaͤlt in dieſem Sinne eigentlich das wahre Nativitaͤts-Prognoſticon mehr in dem Zuſammentreffen irdiſcher Dinge, als im Aufeinanderwirken himmliſcher Geſtirne.
Sodann wird das Kind gewoͤhnlich mit Freund- lichkeit aufgenommen, gepflegt und Jedermann erfreut ſich deſſen was es verſpricht. Jeder Vater, jeder Leh- rer ſucht die Anlagen nach ſeinen Einſichten und Faͤ- higkeiten beſtens zu entwickeln, und wenigſtens iſt es der gute Wille, der alle die Umgebungen des Knaben
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Allgemeine Betrachtungen.
Wenn die Frage: welcher Zeit der Menſch eigent-
lich angehoͤre? gewiſſermaßen wunderlich und muͤßig
ſcheint, ſo regt ſie doch ganz eigene Betrachtungen auf,
die uns intereſſiren und unterhalten koͤnnten.
Das Leben jedes bedeutenden Menſchen, das nicht
durch einen fruͤhen Tod abgebrochen wird, laͤßt ſich in
drey Epochen theilen, in die der erſten Bildung, in
die des eigenthuͤmlichen Strebens, und in die des Ge-
langens zum Ziele, zur Vollendung.
Meiſtens kann man nur von der erſten ſagen, daß
die Zeit Ehre von ihr habe: denn erſtlich deutet der
Werth eines Menſchen auf die Natur und Kraft der
in ſeiner Geburts-Epoche Zeugenden; das Geſchlecht,
aus dem er ſtammt, manifeſtirt ſich in ihm oͤfters mehr
als durch ſich ſelbſt, und das Jahr der Geburt eines
Jeden enthaͤlt in dieſem Sinne eigentlich das wahre
Nativitaͤts-Prognoſticon mehr in dem Zuſammentreffen
irdiſcher Dinge, als im Aufeinanderwirken himmliſcher
Geſtirne.
Sodann wird das Kind gewoͤhnlich mit Freund-
lichkeit aufgenommen, gepflegt und Jedermann erfreut
ſich deſſen was es verſpricht. Jeder Vater, jeder Leh-
rer ſucht die Anlagen nach ſeinen Einſichten und Faͤ-
higkeiten beſtens zu entwickeln, und wenigſtens iſt es
der gute Wille, der alle die Umgebungen des Knaben
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/277>, abgerufen am 26.11.2024.
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