belebt. Sein Fleiß wird gepriesen, seine Fortschritte werden belohnt, der größte Eifer wird in ihm erregt, und ihm zugleich die thörige Hoffnung vorgespiegelt, daß das immer stufenweise so fortgehn werde.
Allein er wird den Irrthum nur allzubald gewahr: denn sobald die Welt den einzelnen Strebenden erblickt, sobald erschallt ein allgemeiner Aufruf, sich ihm zu wi- dersetzen. Alle Vor- und Mitwerber sind höchlich be- müht, ihn mit Schranken und Gränzen zu umbauen, ihn auf jede Weise zu retardiren, ihn ungeduldig, ver- drießlich zu machen, und ihn nicht allein von außen, sondern auch von innen zum Stocken zu bringen.
Diese Epoche ist also gewöhnlich die des Conflicts, und man kann niemals sagen, daß diese Zeit Ehre von einem Manne habe. Die Ehre gehört ihm selbst an und zwar ihm allein und den wenigen, die ihn begün- stigen und mit ihm halten.
Sind nun diese Widerstände überwunden, ist die- ses Streben gelungen, das Angefangene vollbracht, so läßt sichs denn die Welt zuletzt wohl auch gefallen; aber auch dieses gereicht ihr keineswegs zur Ehre. Die Vorwerber sind abgetreten, den Mitwerbern ist es nicht besser gegangen, und sie haben vielleicht doch auch ihre Zwecke erreicht und sind beruhigt; die Nachwerber sind nun an ihrer Reihe der Lehre, des Raths, der Hülfe bedürftig, und so schließt sich der Kreis, oder vielmehr so dreht sich das Rad abermals, um seine immer er- neuerte wunderliche Linie zu beschreiben.
belebt. Sein Fleiß wird geprieſen, ſeine Fortſchritte werden belohnt, der groͤßte Eifer wird in ihm erregt, und ihm zugleich die thoͤrige Hoffnung vorgeſpiegelt, daß das immer ſtufenweiſe ſo fortgehn werde.
Allein er wird den Irrthum nur allzubald gewahr: denn ſobald die Welt den einzelnen Strebenden erblickt, ſobald erſchallt ein allgemeiner Aufruf, ſich ihm zu wi- derſetzen. Alle Vor- und Mitwerber ſind hoͤchlich be- muͤht, ihn mit Schranken und Graͤnzen zu umbauen, ihn auf jede Weiſe zu retardiren, ihn ungeduldig, ver- drießlich zu machen, und ihn nicht allein von außen, ſondern auch von innen zum Stocken zu bringen.
Dieſe Epoche iſt alſo gewoͤhnlich die des Conflicts, und man kann niemals ſagen, daß dieſe Zeit Ehre von einem Manne habe. Die Ehre gehoͤrt ihm ſelbſt an und zwar ihm allein und den wenigen, die ihn beguͤn- ſtigen und mit ihm halten.
Sind nun dieſe Widerſtaͤnde uͤberwunden, iſt die- ſes Streben gelungen, das Angefangene vollbracht, ſo laͤßt ſichs denn die Welt zuletzt wohl auch gefallen; aber auch dieſes gereicht ihr keineswegs zur Ehre. Die Vorwerber ſind abgetreten, den Mitwerbern iſt es nicht beſſer gegangen, und ſie haben vielleicht doch auch ihre Zwecke erreicht und ſind beruhigt; die Nachwerber ſind nun an ihrer Reihe der Lehre, des Raths, der Huͤlfe beduͤrftig, und ſo ſchließt ſich der Kreis, oder vielmehr ſo dreht ſich das Rad abermals, um ſeine immer er- neuerte wunderliche Linie zu beſchreiben.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0278"n="244"/>
belebt. Sein Fleiß wird geprieſen, ſeine Fortſchritte<lb/>
werden belohnt, der groͤßte Eifer wird in ihm erregt,<lb/>
und ihm zugleich die thoͤrige Hoffnung vorgeſpiegelt,<lb/>
daß das immer ſtufenweiſe ſo fortgehn werde.</p><lb/><p>Allein er wird den Irrthum nur allzubald gewahr:<lb/>
denn ſobald die Welt den einzelnen Strebenden erblickt,<lb/>ſobald erſchallt ein allgemeiner Aufruf, ſich ihm zu wi-<lb/>
derſetzen. Alle Vor- und Mitwerber ſind hoͤchlich be-<lb/>
muͤht, ihn mit Schranken und Graͤnzen zu umbauen,<lb/>
ihn auf jede Weiſe zu retardiren, ihn ungeduldig, ver-<lb/>
drießlich zu machen, und ihn nicht allein von außen,<lb/>ſondern auch von innen zum Stocken zu bringen.</p><lb/><p>Dieſe Epoche iſt alſo gewoͤhnlich die des Conflicts,<lb/>
und man kann niemals ſagen, daß dieſe Zeit Ehre von<lb/>
einem Manne habe. Die Ehre gehoͤrt ihm ſelbſt an<lb/>
und zwar ihm allein und den wenigen, die ihn beguͤn-<lb/>ſtigen und mit ihm halten.</p><lb/><p>Sind nun dieſe Widerſtaͤnde uͤberwunden, iſt die-<lb/>ſes Streben gelungen, das Angefangene vollbracht, ſo<lb/>
laͤßt ſichs denn die Welt zuletzt wohl auch gefallen; aber<lb/>
auch dieſes gereicht ihr keineswegs zur Ehre. Die<lb/>
Vorwerber ſind abgetreten, den Mitwerbern iſt es nicht<lb/>
beſſer gegangen, und ſie haben vielleicht doch auch ihre<lb/>
Zwecke erreicht und ſind beruhigt; die Nachwerber ſind<lb/>
nun an ihrer Reihe der Lehre, des Raths, der Huͤlfe<lb/>
beduͤrftig, und ſo ſchließt ſich der Kreis, oder vielmehr<lb/>ſo dreht ſich das Rad abermals, um ſeine immer er-<lb/>
neuerte wunderliche Linie zu beſchreiben.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[244/0278]
belebt. Sein Fleiß wird geprieſen, ſeine Fortſchritte
werden belohnt, der groͤßte Eifer wird in ihm erregt,
und ihm zugleich die thoͤrige Hoffnung vorgeſpiegelt,
daß das immer ſtufenweiſe ſo fortgehn werde.
Allein er wird den Irrthum nur allzubald gewahr:
denn ſobald die Welt den einzelnen Strebenden erblickt,
ſobald erſchallt ein allgemeiner Aufruf, ſich ihm zu wi-
derſetzen. Alle Vor- und Mitwerber ſind hoͤchlich be-
muͤht, ihn mit Schranken und Graͤnzen zu umbauen,
ihn auf jede Weiſe zu retardiren, ihn ungeduldig, ver-
drießlich zu machen, und ihn nicht allein von außen,
ſondern auch von innen zum Stocken zu bringen.
Dieſe Epoche iſt alſo gewoͤhnlich die des Conflicts,
und man kann niemals ſagen, daß dieſe Zeit Ehre von
einem Manne habe. Die Ehre gehoͤrt ihm ſelbſt an
und zwar ihm allein und den wenigen, die ihn beguͤn-
ſtigen und mit ihm halten.
Sind nun dieſe Widerſtaͤnde uͤberwunden, iſt die-
ſes Streben gelungen, das Angefangene vollbracht, ſo
laͤßt ſichs denn die Welt zuletzt wohl auch gefallen; aber
auch dieſes gereicht ihr keineswegs zur Ehre. Die
Vorwerber ſind abgetreten, den Mitwerbern iſt es nicht
beſſer gegangen, und ſie haben vielleicht doch auch ihre
Zwecke erreicht und ſind beruhigt; die Nachwerber ſind
nun an ihrer Reihe der Lehre, des Raths, der Huͤlfe
beduͤrftig, und ſo ſchließt ſich der Kreis, oder vielmehr
ſo dreht ſich das Rad abermals, um ſeine immer er-
neuerte wunderliche Linie zu beſchreiben.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/278>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.