Man sieht hieraus, daß es ganz allein von dem Geschichtschreiber abhange, wie er einen Mann einord- nen, wann er seiner gedenken will. So viel ist aber gewiß, wenn man bey biographischen Betrachtungen, bey Bearbeitung einzelner Lebensgeschichten, ein solches Schema vor Augen hat, und die unendlichen Abwei- chungen von demselben zu bemerken weiß; so wird man, wie an einem guten Leitfaden, sich durch die labyrin- thischen Schicksale manches Menschenlebens hindurch finden.
Galileo Galilei.
geb. 1564. gest. 1642.
Wir nennen diesen Namen mehr um unsere Blät- ter damit zu zieren, als weil sich der vorzügliche Mann mit unserm Fache beschäftigt.
Schien durch die Verulamische Zerstreuungsmethode die Naturwissenschaft auf ewig zersplittert, so ward sie durch Galilei sogleich wieder zur Sammlung gebracht; er führte die Naturlehre wieder in den Menschen zu- rück und zeigte schon in früher Jugend, daß dem Ge- nie Ein Fall für tausend gelte, indem er sich aus schwin- genden Kirchenlampen die Lehre des Pendels und des Falles der Körper entwickelte. Alles kommt in der Wis- senschaft auf das an, was man ein Apercü nennt, auf ein Gewahrwerden dessen, was eigentlich den Erschei-
Man ſieht hieraus, daß es ganz allein von dem Geſchichtſchreiber abhange, wie er einen Mann einord- nen, wann er ſeiner gedenken will. So viel iſt aber gewiß, wenn man bey biographiſchen Betrachtungen, bey Bearbeitung einzelner Lebensgeſchichten, ein ſolches Schema vor Augen hat, und die unendlichen Abwei- chungen von demſelben zu bemerken weiß; ſo wird man, wie an einem guten Leitfaden, ſich durch die labyrin- thiſchen Schickſale manches Menſchenlebens hindurch finden.
Galileo Galilei.
geb. 1564. geſt. 1642.
Wir nennen dieſen Namen mehr um unſere Blaͤt- ter damit zu zieren, als weil ſich der vorzuͤgliche Mann mit unſerm Fache beſchaͤftigt.
Schien durch die Verulamiſche Zerſtreuungsmethode die Naturwiſſenſchaft auf ewig zerſplittert, ſo ward ſie durch Galilei ſogleich wieder zur Sammlung gebracht; er fuͤhrte die Naturlehre wieder in den Menſchen zu- ruͤck und zeigte ſchon in fruͤher Jugend, daß dem Ge- nie Ein Fall fuͤr tauſend gelte, indem er ſich aus ſchwin- genden Kirchenlampen die Lehre des Pendels und des Falles der Koͤrper entwickelte. Alles kommt in der Wiſ- ſenſchaft auf das an, was man ein Aperçuͤ nennt, auf ein Gewahrwerden deſſen, was eigentlich den Erſchei-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0279"n="245"/><p>Man ſieht hieraus, daß es ganz allein von dem<lb/>
Geſchichtſchreiber abhange, wie er einen Mann einord-<lb/>
nen, wann er ſeiner gedenken will. So viel iſt aber<lb/>
gewiß, wenn man bey biographiſchen Betrachtungen,<lb/>
bey Bearbeitung einzelner Lebensgeſchichten, ein ſolches<lb/>
Schema vor Augen hat, und die unendlichen Abwei-<lb/>
chungen von demſelben zu bemerken weiß; ſo wird man,<lb/>
wie an einem guten Leitfaden, ſich durch die labyrin-<lb/>
thiſchen Schickſale manches Menſchenlebens hindurch<lb/>
finden.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head><hirendition="#g">Galileo Galilei</hi>.</head><lb/><p><hirendition="#c"><hirendition="#g">geb. 1564. geſt. 1642</hi>.</hi></p><lb/><p>Wir nennen dieſen Namen mehr um unſere Blaͤt-<lb/>
ter damit zu zieren, als weil ſich der vorzuͤgliche Mann<lb/>
mit unſerm Fache beſchaͤftigt.</p><lb/><p>Schien durch die Verulamiſche Zerſtreuungsmethode<lb/>
die Naturwiſſenſchaft auf ewig zerſplittert, ſo ward ſie<lb/>
durch Galilei ſogleich wieder zur Sammlung gebracht;<lb/>
er fuͤhrte die Naturlehre wieder in den Menſchen zu-<lb/>
ruͤck und zeigte ſchon in fruͤher Jugend, daß dem Ge-<lb/>
nie Ein Fall fuͤr tauſend gelte, indem er ſich aus ſchwin-<lb/>
genden Kirchenlampen die Lehre des Pendels und des<lb/>
Falles der Koͤrper entwickelte. Alles kommt in der Wiſ-<lb/>ſenſchaft auf das an, was man ein Aper<hirendition="#aq">ç</hi>uͤ nennt, auf<lb/>
ein Gewahrwerden deſſen, was eigentlich den Erſchei-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[245/0279]
Man ſieht hieraus, daß es ganz allein von dem
Geſchichtſchreiber abhange, wie er einen Mann einord-
nen, wann er ſeiner gedenken will. So viel iſt aber
gewiß, wenn man bey biographiſchen Betrachtungen,
bey Bearbeitung einzelner Lebensgeſchichten, ein ſolches
Schema vor Augen hat, und die unendlichen Abwei-
chungen von demſelben zu bemerken weiß; ſo wird man,
wie an einem guten Leitfaden, ſich durch die labyrin-
thiſchen Schickſale manches Menſchenlebens hindurch
finden.
Galileo Galilei.
geb. 1564. geſt. 1642.
Wir nennen dieſen Namen mehr um unſere Blaͤt-
ter damit zu zieren, als weil ſich der vorzuͤgliche Mann
mit unſerm Fache beſchaͤftigt.
Schien durch die Verulamiſche Zerſtreuungsmethode
die Naturwiſſenſchaft auf ewig zerſplittert, ſo ward ſie
durch Galilei ſogleich wieder zur Sammlung gebracht;
er fuͤhrte die Naturlehre wieder in den Menſchen zu-
ruͤck und zeigte ſchon in fruͤher Jugend, daß dem Ge-
nie Ein Fall fuͤr tauſend gelte, indem er ſich aus ſchwin-
genden Kirchenlampen die Lehre des Pendels und des
Falles der Koͤrper entwickelte. Alles kommt in der Wiſ-
ſenſchaft auf das an, was man ein Aperçuͤ nennt, auf
ein Gewahrwerden deſſen, was eigentlich den Erſchei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/279>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.