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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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faßlichen Wesen aus dem Reiche der Sinnlichkeit in
ein geistigeres herübergespielt zu haben, so wollte man
sie auf ihrem Wege haschen, sie sollten seyn oder nicht
seyn, je nachdem man sich zu einer oder der andern
Vorstellung geneigt fühlte, und der durch eine geist-
reiche Terminologie schon geschlichtete Streit ging
wieder von vorn an. Diejenigen welche realer gesinnt
waren, worunter auch Aguilonius gehört, behaupteten:
die Farben der Körper seyen ruhig, müßig, träge;
das Licht rege sie an, entreiße sie dem Körper, führe
sie mit sich fort und streue sie umher, und so war
man wieder bey der Erklärungsart des Epicur, die
Lukrez so anmuthig ausdrückt:

Häufig bemerket man das an den röthlichen, blauen,
und gelben
Teppichen, welche gespannt hoch über das weite Thea-
ter
Wogend schweben, allda verbreitet an Masten und
Balken.
Denn der Versammlung unteren Raum, den sämmtli-
chen Schauplatz,
Sitze der Väter und Mütter, der Götter erhabene
Bilder,
Tünchen sie an, sie zwingend in ihrem Gefärbe zu
schwanken.
Und sind enger umher des Theaters Wände verschlos-
sen,
Dann lacht fröhlicher noch vom ergossenen Reize der
Umfang,
II. 18

faßlichen Weſen aus dem Reiche der Sinnlichkeit in
ein geiſtigeres heruͤbergeſpielt zu haben, ſo wollte man
ſie auf ihrem Wege haſchen, ſie ſollten ſeyn oder nicht
ſeyn, je nachdem man ſich zu einer oder der andern
Vorſtellung geneigt fuͤhlte, und der durch eine geiſt-
reiche Terminologie ſchon geſchlichtete Streit ging
wieder von vorn an. Diejenigen welche realer geſinnt
waren, worunter auch Aguilonius gehoͤrt, behaupteten:
die Farben der Koͤrper ſeyen ruhig, muͤßig, traͤge;
das Licht rege ſie an, entreiße ſie dem Koͤrper, fuͤhre
ſie mit ſich fort und ſtreue ſie umher, und ſo war
man wieder bey der Erklaͤrungsart des Epicur, die
Lukrez ſo anmuthig ausdruͤckt:

Haͤufig bemerket man das an den roͤthlichen, blauen,
und gelben
Teppichen, welche geſpannt hoch uͤber das weite Thea-
ter
Wogend ſchweben, allda verbreitet an Maſten und
Balken.
Denn der Verſammlung unteren Raum, den ſaͤmmtli-
chen Schauplatz,
Sitze der Vaͤter und Muͤtter, der Goͤtter erhabene
Bilder,
Tuͤnchen ſie an, ſie zwingend in ihrem Gefaͤrbe zu
ſchwanken.
Und ſind enger umher des Theaters Waͤnde verſchloſ-
ſen,
Dann lacht froͤhlicher noch vom ergoſſenen Reize der
Umfang,
II. 18
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[273/0307] faßlichen Weſen aus dem Reiche der Sinnlichkeit in ein geiſtigeres heruͤbergeſpielt zu haben, ſo wollte man ſie auf ihrem Wege haſchen, ſie ſollten ſeyn oder nicht ſeyn, je nachdem man ſich zu einer oder der andern Vorſtellung geneigt fuͤhlte, und der durch eine geiſt- reiche Terminologie ſchon geſchlichtete Streit ging wieder von vorn an. Diejenigen welche realer geſinnt waren, worunter auch Aguilonius gehoͤrt, behaupteten: die Farben der Koͤrper ſeyen ruhig, muͤßig, traͤge; das Licht rege ſie an, entreiße ſie dem Koͤrper, fuͤhre ſie mit ſich fort und ſtreue ſie umher, und ſo war man wieder bey der Erklaͤrungsart des Epicur, die Lukrez ſo anmuthig ausdruͤckt: Haͤufig bemerket man das an den roͤthlichen, blauen, und gelben Teppichen, welche geſpannt hoch uͤber das weite Thea- ter Wogend ſchweben, allda verbreitet an Maſten und Balken. Denn der Verſammlung unteren Raum, den ſaͤmmtli- chen Schauplatz, Sitze der Vaͤter und Muͤtter, der Goͤtter erhabene Bilder, Tuͤnchen ſie an, ſie zwingend in ihrem Gefaͤrbe zu ſchwanken. Und ſind enger umher des Theaters Waͤnde verſchloſ- ſen, Dann lacht froͤhlicher noch vom ergoſſenen Reize der Umfang, II. 18

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/307>, abgerufen am 22.11.2024.