bleibt als eine weiße oder durchsichtige Asche; und so ist die Weiße der Anfang aller Farben, und das Schwarze das Ende. Das Weiße ist am wenigsten Farbe; das Schwarze hingegen am meisten. Und nun wollen wir die einzelnen Arten und Stufen der Farbe durchgehen."
Sechs und zwanzigstes Kapitel. Die Ordnung der Farben.
"Die erste Farbe daher, wenn man es Farbe nen- nen kann, ist das Weiße. Dieses tritt zunächst an das Durchsichtige, und da alle Körper von Natur durchsich- tig sind, so kommt hier zuerst das Düstre (opacitas) hin- zu und der Körper wird sichtbar bey dem geringsten Lichte, auch wenn der Schwefel nicht schmilzt, den wir jedem Körper zugeschrieben haben. Denn jeder durch- sichtige Körper, wenn er zerrieben wird, so daß eine Verschiedenheit der Oberflächen entsteht, erscheint so- gleich als weiß, und es ist ganz einerley, ob die Ma- terie fest oder flüssig gewesen. Man verwandle Wasser zu Schaum, oder Glas in Pulver, so wird sich die Durchsichtigkeit sogleich in das Weiße verwandeln. Und zwar ist dieses die erste Art des Weißen, und wenn du sie allein betrachtest; so kann man die Weiße nur uneigentlich zu den Farben zählen. Denn wenn du die einzelnen Körperchen und ihre kleinsten Oberflächen be- sonders ansiehst, so bleibt ihnen die Durchsichtigkeit, und bloß die Stellung, die Lage der Körper betriegt den Anblick."
bleibt als eine weiße oder durchſichtige Aſche; und ſo iſt die Weiße der Anfang aller Farben, und das Schwarze das Ende. Das Weiße iſt am wenigſten Farbe; das Schwarze hingegen am meiſten. Und nun wollen wir die einzelnen Arten und Stufen der Farbe durchgehen.“
Sechs und zwanzigſtes Kapitel. Die Ordnung der Farben.
„Die erſte Farbe daher, wenn man es Farbe nen- nen kann, iſt das Weiße. Dieſes tritt zunaͤchſt an das Durchſichtige, und da alle Koͤrper von Natur durchſich- tig ſind, ſo kommt hier zuerſt das Duͤſtre (opacitas) hin- zu und der Koͤrper wird ſichtbar bey dem geringſten Lichte, auch wenn der Schwefel nicht ſchmilzt, den wir jedem Koͤrper zugeſchrieben haben. Denn jeder durch- ſichtige Koͤrper, wenn er zerrieben wird, ſo daß eine Verſchiedenheit der Oberflaͤchen entſteht, erſcheint ſo- gleich als weiß, und es iſt ganz einerley, ob die Ma- terie feſt oder fluͤſſig geweſen. Man verwandle Waſſer zu Schaum, oder Glas in Pulver, ſo wird ſich die Durchſichtigkeit ſogleich in das Weiße verwandeln. Und zwar iſt dieſes die erſte Art des Weißen, und wenn du ſie allein betrachteſt; ſo kann man die Weiße nur uneigentlich zu den Farben zaͤhlen. Denn wenn du die einzelnen Koͤrperchen und ihre kleinſten Oberflaͤchen be- ſonders anſiehſt, ſo bleibt ihnen die Durchſichtigkeit, und bloß die Stellung, die Lage der Koͤrper betriegt den Anblick.“
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bleibt als eine weiße oder durchſichtige Aſche; und ſo
iſt die Weiße der Anfang aller Farben, und das
Schwarze das Ende. Das Weiße iſt am wenigſten
Farbe; das Schwarze hingegen am meiſten. Und nun
wollen wir die einzelnen Arten und Stufen der Farbe
durchgehen.“
Sechs und zwanzigſtes Kapitel.
Die Ordnung der Farben.
„Die erſte Farbe daher, wenn man es Farbe nen-
nen kann, iſt das Weiße. Dieſes tritt zunaͤchſt an das
Durchſichtige, und da alle Koͤrper von Natur durchſich-
tig ſind, ſo kommt hier zuerſt das Duͤſtre (opacitas) hin-
zu und der Koͤrper wird ſichtbar bey dem geringſten
Lichte, auch wenn der Schwefel nicht ſchmilzt, den wir
jedem Koͤrper zugeſchrieben haben. Denn jeder durch-
ſichtige Koͤrper, wenn er zerrieben wird, ſo daß eine
Verſchiedenheit der Oberflaͤchen entſteht, erſcheint ſo-
gleich als weiß, und es iſt ganz einerley, ob die Ma-
terie feſt oder fluͤſſig geweſen. Man verwandle Waſſer
zu Schaum, oder Glas in Pulver, ſo wird ſich die
Durchſichtigkeit ſogleich in das Weiße verwandeln. Und
zwar iſt dieſes die erſte Art des Weißen, und wenn
du ſie allein betrachteſt; ſo kann man die Weiße nur
uneigentlich zu den Farben zaͤhlen. Denn wenn du die
einzelnen Koͤrperchen und ihre kleinſten Oberflaͤchen be-
ſonders anſiehſt, ſo bleibt ihnen die Durchſichtigkeit, und
bloß die Stellung, die Lage der Koͤrper betriegt den
Anblick.“
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/333>, abgerufen am 22.11.2024.
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