"Dieses festgesetzt, fahr' ich fort: wie die Farbe des Schwefels in der verbrennlichen Materie, so ist auch die Farbe der Flammen; wie aber die Flamme, so ist auch das Licht, das von ihr ausgebreitet wird; da aber die Flamme alle Farben enthält und begreift, so ist nothwendig, daß das Licht dieselbe Eigenschaft habe. Deswegen sind auch in dem Licht alle Farben, obgleich nicht immer sichtbar. Denn wie eine mächtige Flamme weiß und einfärbig erscheint, wenn man sie aber durch einen Nebel oder andern dichten Körper sieht, verschiedene Farben annimmt, auf eben diese Weise bekleidet sich das Licht, ob es gleich unsichtbar oder weiß ist, wenn es durch ein gläsernes Prisma oder durch eine feuchte Luft durchgeht, mit verschiede- nen Farben."
"Ob nun gleich in dem reinen Licht keine Farben erscheinen, so sind sie demungeachtet wahrhaft in dem Licht enthalten. Denn wie ein größeres Licht einem geringeren schadet, so verhindert auch ein reines Licht, das verdunkelte Licht zu sehen. Daß aber ein jedes Licht Farben mit sich führe, kann man daraus folgern, daß, wenn man durch eine Glaslinse oder auch nur durch eine Oeffnung Licht in eine dunkle Kammer fal- len läßt, sich auf einer entferntern Mauer oder Lein- wand alle Farben deutlich zeigen, da doch an den Kreuzungspuncten der Strahlen und an den Stellen, die der Linse allzunah sind, keine Farbe, sondern das bloße Licht erscheint."
"Da nun aber das Licht Form und Bild des
„Dieſes feſtgeſetzt, fahr’ ich fort: wie die Farbe des Schwefels in der verbrennlichen Materie, ſo iſt auch die Farbe der Flammen; wie aber die Flamme, ſo iſt auch das Licht, das von ihr ausgebreitet wird; da aber die Flamme alle Farben enthaͤlt und begreift, ſo iſt nothwendig, daß das Licht dieſelbe Eigenſchaft habe. Deswegen ſind auch in dem Licht alle Farben, obgleich nicht immer ſichtbar. Denn wie eine maͤchtige Flamme weiß und einfaͤrbig erſcheint, wenn man ſie aber durch einen Nebel oder andern dichten Koͤrper ſieht, verſchiedene Farben annimmt, auf eben dieſe Weiſe bekleidet ſich das Licht, ob es gleich unſichtbar oder weiß iſt, wenn es durch ein glaͤſernes Prisma oder durch eine feuchte Luft durchgeht, mit verſchiede- nen Farben.“
„Ob nun gleich in dem reinen Licht keine Farben erſcheinen, ſo ſind ſie demungeachtet wahrhaft in dem Licht enthalten. Denn wie ein groͤßeres Licht einem geringeren ſchadet, ſo verhindert auch ein reines Licht, das verdunkelte Licht zu ſehen. Daß aber ein jedes Licht Farben mit ſich fuͤhre, kann man daraus folgern, daß, wenn man durch eine Glaslinſe oder auch nur durch eine Oeffnung Licht in eine dunkle Kammer fal- len laͤßt, ſich auf einer entferntern Mauer oder Lein- wand alle Farben deutlich zeigen, da doch an den Kreuzungspuncten der Strahlen und an den Stellen, die der Linſe allzunah ſind, keine Farbe, ſondern das bloße Licht erſcheint.“
„Da nun aber das Licht Form und Bild des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0337"n="303"/><p>„Dieſes feſtgeſetzt, fahr’ ich fort: wie die Farbe<lb/>
des Schwefels in der verbrennlichen Materie, ſo iſt<lb/>
auch die Farbe der Flammen; wie aber die Flamme,<lb/>ſo iſt auch das Licht, das von ihr ausgebreitet wird;<lb/>
da aber die Flamme alle Farben enthaͤlt und begreift,<lb/>ſo iſt nothwendig, daß das Licht dieſelbe Eigenſchaft<lb/>
habe. Deswegen ſind auch in dem Licht alle Farben,<lb/>
obgleich nicht immer ſichtbar. Denn wie eine maͤchtige<lb/>
Flamme weiß und einfaͤrbig erſcheint, wenn man ſie<lb/>
aber durch einen Nebel oder andern dichten Koͤrper<lb/>ſieht, verſchiedene Farben annimmt, auf eben dieſe<lb/>
Weiſe bekleidet ſich das Licht, ob es gleich unſichtbar<lb/>
oder weiß iſt, wenn es durch ein glaͤſernes Prisma<lb/>
oder durch eine feuchte Luft durchgeht, mit verſchiede-<lb/>
nen Farben.“</p><lb/><p>„Ob nun gleich in dem reinen Licht keine Farben<lb/>
erſcheinen, ſo ſind ſie demungeachtet wahrhaft in dem<lb/>
Licht enthalten. Denn wie ein groͤßeres Licht einem<lb/>
geringeren ſchadet, ſo verhindert auch ein reines Licht,<lb/>
das verdunkelte Licht zu ſehen. Daß aber ein jedes<lb/>
Licht Farben mit ſich fuͤhre, kann man daraus folgern,<lb/>
daß, wenn man durch eine Glaslinſe oder auch nur<lb/>
durch eine Oeffnung Licht in eine dunkle Kammer fal-<lb/>
len laͤßt, ſich auf einer entferntern Mauer oder Lein-<lb/>
wand alle Farben deutlich zeigen, da doch an den<lb/>
Kreuzungspuncten der Strahlen und an den Stellen,<lb/>
die der Linſe allzunah ſind, keine Farbe, ſondern das<lb/>
bloße Licht erſcheint.“</p><lb/><p>„Da nun aber das Licht Form und Bild des<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[303/0337]
„Dieſes feſtgeſetzt, fahr’ ich fort: wie die Farbe
des Schwefels in der verbrennlichen Materie, ſo iſt
auch die Farbe der Flammen; wie aber die Flamme,
ſo iſt auch das Licht, das von ihr ausgebreitet wird;
da aber die Flamme alle Farben enthaͤlt und begreift,
ſo iſt nothwendig, daß das Licht dieſelbe Eigenſchaft
habe. Deswegen ſind auch in dem Licht alle Farben,
obgleich nicht immer ſichtbar. Denn wie eine maͤchtige
Flamme weiß und einfaͤrbig erſcheint, wenn man ſie
aber durch einen Nebel oder andern dichten Koͤrper
ſieht, verſchiedene Farben annimmt, auf eben dieſe
Weiſe bekleidet ſich das Licht, ob es gleich unſichtbar
oder weiß iſt, wenn es durch ein glaͤſernes Prisma
oder durch eine feuchte Luft durchgeht, mit verſchiede-
nen Farben.“
„Ob nun gleich in dem reinen Licht keine Farben
erſcheinen, ſo ſind ſie demungeachtet wahrhaft in dem
Licht enthalten. Denn wie ein groͤßeres Licht einem
geringeren ſchadet, ſo verhindert auch ein reines Licht,
das verdunkelte Licht zu ſehen. Daß aber ein jedes
Licht Farben mit ſich fuͤhre, kann man daraus folgern,
daß, wenn man durch eine Glaslinſe oder auch nur
durch eine Oeffnung Licht in eine dunkle Kammer fal-
len laͤßt, ſich auf einer entferntern Mauer oder Lein-
wand alle Farben deutlich zeigen, da doch an den
Kreuzungspuncten der Strahlen und an den Stellen,
die der Linſe allzunah ſind, keine Farbe, ſondern das
bloße Licht erſcheint.“
„Da nun aber das Licht Form und Bild des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/337>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.