Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
Uebergang
zur Geschichte des Colorits
.

Nachdem wir uns bisher im Theoretischen wie auf
Wogen von einer Seite zur andern geworfen gesehen,
so läßt sich erwarten, daß uns im Practischen gleich-
falls keine vollkommene Sicherheit begegnen werde.
Denn obgleich der Practiker vorzüglich vor dem The-
oretiker als ganzer Mensch handelt und bey der That
immer durch äußere Bedingungen mehr auf den rech-
ten Weg genöthigt wird; so kommt doch dabey eben
soviel Hinderliches als Förderliches vor, und wenn
auch irgend Jemand, durch Genie, Talent, Geschmack,
etwas Außerordentliches leistet; so kann der Grund hie-
von, weder als Maxime, noch als Handgriff, so leicht
überliefert werden.

Maler und Färber sind zwar durchaus den Phi-
losophen und Naturforschern in Absicht auf Farbenlehre
im achtzehnten Jahrhundert weit vorgeschritten; doch
konnten sie sich allein aus der Verworrenheit und In-
consequenz nicht helfen. Die Geschichte des Colorits
seit Wiederherstellung der Kunst, welche wir an dieser
Stelle einschalten, wird hierüber das Besondere an-
schaulich machen. Um den Vortrag nicht zu unterbre-
chen, findet sich diese Geschichte bis auf den heutigen
Tag durchgeführt, wobey vorauszusehen ist, daß die
herrschende Theorie dem Künstler keine Hülfe leisten
konnte, weil sie die dem Maler zum Gegensatze des
Lichtes so nöthigen Bedingungen, die Begränzung und
den Schatten, aus der Farbenlehre verbannt hatte.


Uebergang
zur Geſchichte des Colorits
.

Nachdem wir uns bisher im Theoretiſchen wie auf
Wogen von einer Seite zur andern geworfen geſehen,
ſo laͤßt ſich erwarten, daß uns im Practiſchen gleich-
falls keine vollkommene Sicherheit begegnen werde.
Denn obgleich der Practiker vorzuͤglich vor dem The-
oretiker als ganzer Menſch handelt und bey der That
immer durch aͤußere Bedingungen mehr auf den rech-
ten Weg genoͤthigt wird; ſo kommt doch dabey eben
ſoviel Hinderliches als Foͤrderliches vor, und wenn
auch irgend Jemand, durch Genie, Talent, Geſchmack,
etwas Außerordentliches leiſtet; ſo kann der Grund hie-
von, weder als Maxime, noch als Handgriff, ſo leicht
uͤberliefert werden.

Maler und Faͤrber ſind zwar durchaus den Phi-
loſophen und Naturforſchern in Abſicht auf Farbenlehre
im achtzehnten Jahrhundert weit vorgeſchritten; doch
konnten ſie ſich allein aus der Verworrenheit und In-
conſequenz nicht helfen. Die Geſchichte des Colorits
ſeit Wiederherſtellung der Kunſt, welche wir an dieſer
Stelle einſchalten, wird hieruͤber das Beſondere an-
ſchaulich machen. Um den Vortrag nicht zu unterbre-
chen, findet ſich dieſe Geſchichte bis auf den heutigen
Tag durchgefuͤhrt, wobey vorauszuſehen iſt, daß die
herrſchende Theorie dem Kuͤnſtler keine Huͤlfe leiſten
konnte, weil ſie die dem Maler zum Gegenſatze des
Lichtes ſo noͤthigen Bedingungen, die Begraͤnzung und
den Schatten, aus der Farbenlehre verbannt hatte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0383" n="349"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Uebergang<lb/>
zur Ge&#x017F;chichte des Colorits</hi>.</head><lb/>
          <p>Nachdem wir uns bisher im Theoreti&#x017F;chen wie auf<lb/>
Wogen von einer Seite zur andern geworfen ge&#x017F;ehen,<lb/>
&#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich erwarten, daß uns im Practi&#x017F;chen gleich-<lb/>
falls keine vollkommene Sicherheit begegnen werde.<lb/>
Denn obgleich der Practiker vorzu&#x0364;glich vor dem The-<lb/>
oretiker als ganzer Men&#x017F;ch handelt und bey der That<lb/>
immer durch a&#x0364;ußere Bedingungen mehr auf den rech-<lb/>
ten Weg geno&#x0364;thigt wird; &#x017F;o kommt doch dabey eben<lb/>
&#x017F;oviel Hinderliches als Fo&#x0364;rderliches vor, und wenn<lb/>
auch irgend Jemand, durch Genie, Talent, Ge&#x017F;chmack,<lb/>
etwas Außerordentliches lei&#x017F;tet; &#x017F;o kann der Grund hie-<lb/>
von, weder als Maxime, noch als Handgriff, &#x017F;o leicht<lb/>
u&#x0364;berliefert werden.</p><lb/>
          <p>Maler und Fa&#x0364;rber &#x017F;ind zwar durchaus den Phi-<lb/>
lo&#x017F;ophen und Naturfor&#x017F;chern in Ab&#x017F;icht auf Farbenlehre<lb/>
im achtzehnten Jahrhundert weit vorge&#x017F;chritten; doch<lb/>
konnten &#x017F;ie &#x017F;ich allein aus der Verworrenheit und In-<lb/>
con&#x017F;equenz nicht helfen. Die Ge&#x017F;chichte des Colorits<lb/>
&#x017F;eit Wiederher&#x017F;tellung der Kun&#x017F;t, welche wir an die&#x017F;er<lb/>
Stelle ein&#x017F;chalten, wird hieru&#x0364;ber das Be&#x017F;ondere an-<lb/>
&#x017F;chaulich machen. Um den Vortrag nicht zu unterbre-<lb/>
chen, findet &#x017F;ich die&#x017F;e Ge&#x017F;chichte bis auf den heutigen<lb/>
Tag durchgefu&#x0364;hrt, wobey vorauszu&#x017F;ehen i&#x017F;t, daß die<lb/>
herr&#x017F;chende Theorie dem Ku&#x0364;n&#x017F;tler keine Hu&#x0364;lfe lei&#x017F;ten<lb/>
konnte, weil &#x017F;ie die dem Maler zum Gegen&#x017F;atze des<lb/>
Lichtes &#x017F;o no&#x0364;thigen Bedingungen, die Begra&#x0364;nzung und<lb/>
den Schatten, aus der Farbenlehre verbannt hatte.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0383] Uebergang zur Geſchichte des Colorits. Nachdem wir uns bisher im Theoretiſchen wie auf Wogen von einer Seite zur andern geworfen geſehen, ſo laͤßt ſich erwarten, daß uns im Practiſchen gleich- falls keine vollkommene Sicherheit begegnen werde. Denn obgleich der Practiker vorzuͤglich vor dem The- oretiker als ganzer Menſch handelt und bey der That immer durch aͤußere Bedingungen mehr auf den rech- ten Weg genoͤthigt wird; ſo kommt doch dabey eben ſoviel Hinderliches als Foͤrderliches vor, und wenn auch irgend Jemand, durch Genie, Talent, Geſchmack, etwas Außerordentliches leiſtet; ſo kann der Grund hie- von, weder als Maxime, noch als Handgriff, ſo leicht uͤberliefert werden. Maler und Faͤrber ſind zwar durchaus den Phi- loſophen und Naturforſchern in Abſicht auf Farbenlehre im achtzehnten Jahrhundert weit vorgeſchritten; doch konnten ſie ſich allein aus der Verworrenheit und In- conſequenz nicht helfen. Die Geſchichte des Colorits ſeit Wiederherſtellung der Kunſt, welche wir an dieſer Stelle einſchalten, wird hieruͤber das Beſondere an- ſchaulich machen. Um den Vortrag nicht zu unterbre- chen, findet ſich dieſe Geſchichte bis auf den heutigen Tag durchgefuͤhrt, wobey vorauszuſehen iſt, daß die herrſchende Theorie dem Kuͤnſtler keine Huͤlfe leiſten konnte, weil ſie die dem Maler zum Gegenſatze des Lichtes ſo noͤthigen Bedingungen, die Begraͤnzung und den Schatten, aus der Farbenlehre verbannt hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/383
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/383>, abgerufen am 24.11.2024.