Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
Geschichte des Colorits
seit
Wiederherstellung der Kunst
.

Ob der Florentiner Eimabue oder Guido von
Siena, ob der Pisaner Berlingheri oder irgend ein an-
derer aus dem dreyzehnten Jahrhundert, der erste gewe-
sen, der seine Augen wieder auf die Natur gewendet,
dieselbe nachzuahmen sich bemüht und dadurch den in
der Irre schlafenden Genius der Kunst wieder geweckt
und auf den rechten Weg geführt, in diesen Streit, der
schon manche Feder abgenutzt, lassen wir uns nicht ein;
genug für unsern gegenwärtigen Endzweck, daß Cima-
bue in jener ersten Zeit der neuern Kunst, wenn auch
nicht vor allen andern die Bahn gebrochen, doch wenig-
stens die bedeutendsten Fortschritte gemacht. Vorzüg-
lich ist er uns merkwürdig, weil sein Colorit, oder
besser zu sagen, seine Farben, wiewohl noch im Licht
weiß, in den Schatten braun und schmutzig, doch im
Ganzen betrachtet unstreitig etwas freundlicher sind,
heller und munterer, als wir sie bey seinen übrigen Zeit-
genossen gewahr werden.

Geſchichte des Colorits
ſeit
Wiederherſtellung der Kunſt
.

Ob der Florentiner Eimabue oder Guido von
Siena, ob der Piſaner Berlingheri oder irgend ein an-
derer aus dem dreyzehnten Jahrhundert, der erſte gewe-
ſen, der ſeine Augen wieder auf die Natur gewendet,
dieſelbe nachzuahmen ſich bemuͤht und dadurch den in
der Irre ſchlafenden Genius der Kunſt wieder geweckt
und auf den rechten Weg gefuͤhrt, in dieſen Streit, der
ſchon manche Feder abgenutzt, laſſen wir uns nicht ein;
genug fuͤr unſern gegenwaͤrtigen Endzweck, daß Cima-
bue in jener erſten Zeit der neuern Kunſt, wenn auch
nicht vor allen andern die Bahn gebrochen, doch wenig-
ſtens die bedeutendſten Fortſchritte gemacht. Vorzuͤg-
lich iſt er uns merkwuͤrdig, weil ſein Colorit, oder
beſſer zu ſagen, ſeine Farben, wiewohl noch im Licht
weiß, in den Schatten braun und ſchmutzig, doch im
Ganzen betrachtet unſtreitig etwas freundlicher ſind,
heller und munterer, als wir ſie bey ſeinen uͤbrigen Zeit-
genoſſen gewahr werden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0384" n="[350]"/>
        <div n="2">
          <head>Ge&#x017F;chichte des Colorits<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;eit<lb/>
Wiederher&#x017F;tellung der Kun&#x017F;t</hi>.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Ob der Florentiner Eimabue oder Guido von<lb/>
Siena, ob der Pi&#x017F;aner Berlingheri oder irgend ein an-<lb/>
derer aus dem dreyzehnten Jahrhundert, der er&#x017F;te gewe-<lb/>
&#x017F;en, der &#x017F;eine Augen wieder auf die Natur gewendet,<lb/>
die&#x017F;elbe nachzuahmen &#x017F;ich bemu&#x0364;ht und dadurch den in<lb/>
der Irre &#x017F;chlafenden Genius der Kun&#x017F;t wieder geweckt<lb/>
und auf den rechten Weg gefu&#x0364;hrt, in die&#x017F;en Streit, der<lb/>
&#x017F;chon manche Feder abgenutzt, la&#x017F;&#x017F;en wir uns nicht ein;<lb/>
genug fu&#x0364;r un&#x017F;ern gegenwa&#x0364;rtigen Endzweck, daß Cima-<lb/>
bue in jener er&#x017F;ten Zeit der neuern Kun&#x017F;t, wenn auch<lb/>
nicht vor allen andern die Bahn gebrochen, doch wenig-<lb/>
&#x017F;tens die bedeutend&#x017F;ten Fort&#x017F;chritte gemacht. Vorzu&#x0364;g-<lb/>
lich i&#x017F;t er uns merkwu&#x0364;rdig, weil &#x017F;ein Colorit, oder<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er zu &#x017F;agen, &#x017F;eine Farben, wiewohl noch im Licht<lb/>
weiß, in den Schatten braun und &#x017F;chmutzig, doch im<lb/>
Ganzen betrachtet un&#x017F;treitig etwas freundlicher &#x017F;ind,<lb/>
heller und munterer, als wir &#x017F;ie bey &#x017F;einen u&#x0364;brigen Zeit-<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;en gewahr werden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[350]/0384] Geſchichte des Colorits ſeit Wiederherſtellung der Kunſt. Ob der Florentiner Eimabue oder Guido von Siena, ob der Piſaner Berlingheri oder irgend ein an- derer aus dem dreyzehnten Jahrhundert, der erſte gewe- ſen, der ſeine Augen wieder auf die Natur gewendet, dieſelbe nachzuahmen ſich bemuͤht und dadurch den in der Irre ſchlafenden Genius der Kunſt wieder geweckt und auf den rechten Weg gefuͤhrt, in dieſen Streit, der ſchon manche Feder abgenutzt, laſſen wir uns nicht ein; genug fuͤr unſern gegenwaͤrtigen Endzweck, daß Cima- bue in jener erſten Zeit der neuern Kunſt, wenn auch nicht vor allen andern die Bahn gebrochen, doch wenig- ſtens die bedeutendſten Fortſchritte gemacht. Vorzuͤg- lich iſt er uns merkwuͤrdig, weil ſein Colorit, oder beſſer zu ſagen, ſeine Farben, wiewohl noch im Licht weiß, in den Schatten braun und ſchmutzig, doch im Ganzen betrachtet unſtreitig etwas freundlicher ſind, heller und munterer, als wir ſie bey ſeinen uͤbrigen Zeit- genoſſen gewahr werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/384
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. [350]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/384>, abgerufen am 24.11.2024.