Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

In den Jahren 1648 und 49 entstand zu Ox-
ford ein ähnlicher Kreis, den die von London dahin
versetzten Glieder jener ersten Gesellschaft entweder ver-
anlaßten oder erweiterten. Auch hier versammelte man
sich, um durch Betrachtung der ewig gesetzmäßigen
Natur sich über die gesetzlosen Bewegungen der Men-
schen zu trösten oder zu erheben.

Die Universitäten zu Cambridge und Oxford hat-
ten sich, als Verwandte der bischöflichen Kirche, treu
zu dem König gehalten und deshalb von Cronwell und
der republicanischen Partey viel gelitten. Nach der
Hinrichtung des Königs 1649 und dem vollkommenen
Siege der Gegenpartey hatten die an beyden Akade-
mieen versammelten Gelehrten alle Ursache still zu blei-
ben. Sie hielten sich an die unschuldige Natur fest, ver-
bannten um so ernstlicher aus ihren Zusammenkünften
alle Streitigkeiten sowohl über politische als religiöse
Gegenstände, und hegten bey ihrer reinen Liebe zur
Wahrheit ganz im Stillen jene Abneigung gegen Schwär-
merey, religiöse Phantasterey, daraus entspringende
Weissagungen und andre Ungeheuer des Tages.

So lebten sie zehn Jahre nebeneinander, kamen
anfangs öfter, nachher aber seltner zusammen, wobey
ein Jeder das was ihn besonders interessirte, das wor-
auf er bey seinen Studien unmittelbar gestoßen, treu-
lich den Uebrigen mittheilte, ohne daß man deshalb
an eine äußere Form oder an eine innere Ordnung
gedacht hätte.

In den Jahren 1648 und 49 entſtand zu Ox-
ford ein aͤhnlicher Kreis, den die von London dahin
verſetzten Glieder jener erſten Geſellſchaft entweder ver-
anlaßten oder erweiterten. Auch hier verſammelte man
ſich, um durch Betrachtung der ewig geſetzmaͤßigen
Natur ſich uͤber die geſetzloſen Bewegungen der Men-
ſchen zu troͤſten oder zu erheben.

Die Univerſitaͤten zu Cambridge und Oxford hat-
ten ſich, als Verwandte der biſchoͤflichen Kirche, treu
zu dem Koͤnig gehalten und deshalb von Cronwell und
der republicaniſchen Partey viel gelitten. Nach der
Hinrichtung des Koͤnigs 1649 und dem vollkommenen
Siege der Gegenpartey hatten die an beyden Akade-
mieen verſammelten Gelehrten alle Urſache ſtill zu blei-
ben. Sie hielten ſich an die unſchuldige Natur feſt, ver-
bannten um ſo ernſtlicher aus ihren Zuſammenkuͤnften
alle Streitigkeiten ſowohl uͤber politiſche als religioͤſe
Gegenſtaͤnde, und hegten bey ihrer reinen Liebe zur
Wahrheit ganz im Stillen jene Abneigung gegen Schwaͤr-
merey, religioͤſe Phantaſterey, daraus entſpringende
Weiſſagungen und andre Ungeheuer des Tages.

So lebten ſie zehn Jahre nebeneinander, kamen
anfangs oͤfter, nachher aber ſeltner zuſammen, wobey
ein Jeder das was ihn beſonders intereſſirte, das wor-
auf er bey ſeinen Studien unmittelbar geſtoßen, treu-
lich den Uebrigen mittheilte, ohne daß man deshalb
an eine aͤußere Form oder an eine innere Ordnung
gedacht haͤtte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0418" n="384"/>
            <p>In den Jahren 1648 und 49 ent&#x017F;tand zu Ox-<lb/>
ford ein a&#x0364;hnlicher Kreis, den die von London dahin<lb/>
ver&#x017F;etzten Glieder jener er&#x017F;ten Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft entweder ver-<lb/>
anlaßten oder erweiterten. Auch hier ver&#x017F;ammelte man<lb/>
&#x017F;ich, um durch Betrachtung der ewig ge&#x017F;etzma&#x0364;ßigen<lb/>
Natur &#x017F;ich u&#x0364;ber die ge&#x017F;etzlo&#x017F;en Bewegungen der Men-<lb/>
&#x017F;chen zu tro&#x0364;&#x017F;ten oder zu erheben.</p><lb/>
            <p>Die Univer&#x017F;ita&#x0364;ten zu Cambridge und Oxford hat-<lb/>
ten &#x017F;ich, als Verwandte der bi&#x017F;cho&#x0364;flichen Kirche, treu<lb/>
zu dem Ko&#x0364;nig gehalten und deshalb von Cronwell und<lb/>
der republicani&#x017F;chen Partey viel gelitten. Nach der<lb/>
Hinrichtung des Ko&#x0364;nigs 1649 und dem vollkommenen<lb/>
Siege der Gegenpartey hatten die an beyden Akade-<lb/>
mieen ver&#x017F;ammelten Gelehrten alle Ur&#x017F;ache &#x017F;till zu blei-<lb/>
ben. Sie hielten &#x017F;ich an die un&#x017F;chuldige Natur fe&#x017F;t, ver-<lb/>
bannten um &#x017F;o ern&#x017F;tlicher aus ihren Zu&#x017F;ammenku&#x0364;nften<lb/>
alle Streitigkeiten &#x017F;owohl u&#x0364;ber politi&#x017F;che als religio&#x0364;&#x017F;e<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, und hegten bey ihrer reinen Liebe zur<lb/>
Wahrheit ganz im Stillen jene Abneigung gegen Schwa&#x0364;r-<lb/>
merey, religio&#x0364;&#x017F;e Phanta&#x017F;terey, daraus ent&#x017F;pringende<lb/>
Wei&#x017F;&#x017F;agungen und andre Ungeheuer des Tages.</p><lb/>
            <p>So lebten &#x017F;ie zehn Jahre nebeneinander, kamen<lb/>
anfangs o&#x0364;fter, nachher aber &#x017F;eltner zu&#x017F;ammen, wobey<lb/>
ein Jeder das was ihn be&#x017F;onders intere&#x017F;&#x017F;irte, das wor-<lb/>
auf er bey &#x017F;einen Studien unmittelbar ge&#x017F;toßen, treu-<lb/>
lich den Uebrigen mittheilte, ohne daß man deshalb<lb/>
an eine a&#x0364;ußere Form oder an eine innere Ordnung<lb/>
gedacht ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[384/0418] In den Jahren 1648 und 49 entſtand zu Ox- ford ein aͤhnlicher Kreis, den die von London dahin verſetzten Glieder jener erſten Geſellſchaft entweder ver- anlaßten oder erweiterten. Auch hier verſammelte man ſich, um durch Betrachtung der ewig geſetzmaͤßigen Natur ſich uͤber die geſetzloſen Bewegungen der Men- ſchen zu troͤſten oder zu erheben. Die Univerſitaͤten zu Cambridge und Oxford hat- ten ſich, als Verwandte der biſchoͤflichen Kirche, treu zu dem Koͤnig gehalten und deshalb von Cronwell und der republicaniſchen Partey viel gelitten. Nach der Hinrichtung des Koͤnigs 1649 und dem vollkommenen Siege der Gegenpartey hatten die an beyden Akade- mieen verſammelten Gelehrten alle Urſache ſtill zu blei- ben. Sie hielten ſich an die unſchuldige Natur feſt, ver- bannten um ſo ernſtlicher aus ihren Zuſammenkuͤnften alle Streitigkeiten ſowohl uͤber politiſche als religioͤſe Gegenſtaͤnde, und hegten bey ihrer reinen Liebe zur Wahrheit ganz im Stillen jene Abneigung gegen Schwaͤr- merey, religioͤſe Phantaſterey, daraus entſpringende Weiſſagungen und andre Ungeheuer des Tages. So lebten ſie zehn Jahre nebeneinander, kamen anfangs oͤfter, nachher aber ſeltner zuſammen, wobey ein Jeder das was ihn beſonders intereſſirte, das wor- auf er bey ſeinen Studien unmittelbar geſtoßen, treu- lich den Uebrigen mittheilte, ohne daß man deshalb an eine aͤußere Form oder an eine innere Ordnung gedacht haͤtte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/418
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/418>, abgerufen am 21.11.2024.