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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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So wie das was eigentlich Methode sey, den
Augen der Gesellen fast gänzlich verborgen war, so
hatte man gleichfalls eine sorgliche Abneigung vor ei-
ner Methode zu der Erfahrung. Die Unterhaltung
der Gesellschaft in ihren ersten Zeiten war immer zu-
fällig gewesen. Was die Einen als eigenes Studium
beschäftigte, was die Andern als Neuigkeit interessirte,
brachte Jeder unaufgefordert und nach Belieben vor.
Eben so blieb es nach der übrigens sehr förmlich ein-
gerichteten Constitution. Jeder theilt mit was gerade
zufällig bereit ist. Erscheinungen der Naturlehre, Kör-
per der Naturgeschichte, Operationen der Technik, alles
zeigt sich bunt durch einander. Manches Unbedeutende,
anderes durch einen wunderbaren Schein Interessirende,
anderes bloß Curiose findet Platz und Aufnahme; ja
sogar werden Versuche mitgetheilt aus deren nähern
Umständen man ein Geheimniß macht. Man sieht eine
Gesellschaft ernsthafter würdiger Männer, die nach allen
Richtungen Streifzüge durch das Feld der Naturwissen-
schaft vornehmen, und weil sie das Unermeßliche dessel-
ben anerkennen, ohne Plan und Maßregel darin her-
umschweifen. Ihre Sessionen sind öfters Quodlibets,
über die man sich des Lächelns, ja des Lachens nicht
enthalten kann.

Die Angst der Societät vor irgend einer rationel-
len Behandlung war so groß, daß sich Niemand ge-
traute auch nur eine empirische Abtheilung und Ord-
nung in das Geschäft zu bringen. Man durfte nur die
verschiedenen Klassen der Gegenstände, man durfte

So wie das was eigentlich Methode ſey, den
Augen der Geſellen faſt gaͤnzlich verborgen war, ſo
hatte man gleichfalls eine ſorgliche Abneigung vor ei-
ner Methode zu der Erfahrung. Die Unterhaltung
der Geſellſchaft in ihren erſten Zeiten war immer zu-
faͤllig geweſen. Was die Einen als eigenes Studium
beſchaͤftigte, was die Andern als Neuigkeit intereſſirte,
brachte Jeder unaufgefordert und nach Belieben vor.
Eben ſo blieb es nach der uͤbrigens ſehr foͤrmlich ein-
gerichteten Conſtitution. Jeder theilt mit was gerade
zufaͤllig bereit iſt. Erſcheinungen der Naturlehre, Koͤr-
per der Naturgeſchichte, Operationen der Technik, alles
zeigt ſich bunt durch einander. Manches Unbedeutende,
anderes durch einen wunderbaren Schein Intereſſirende,
anderes bloß Curioſe findet Platz und Aufnahme; ja
ſogar werden Verſuche mitgetheilt aus deren naͤhern
Umſtaͤnden man ein Geheimniß macht. Man ſieht eine
Geſellſchaft ernſthafter wuͤrdiger Maͤnner, die nach allen
Richtungen Streifzuͤge durch das Feld der Naturwiſſen-
ſchaft vornehmen, und weil ſie das Unermeßliche deſſel-
ben anerkennen, ohne Plan und Maßregel darin her-
umſchweifen. Ihre Seſſionen ſind oͤfters Quodlibets,
uͤber die man ſich des Laͤchelns, ja des Lachens nicht
enthalten kann.

Die Angſt der Societaͤt vor irgend einer rationel-
len Behandlung war ſo groß, daß ſich Niemand ge-
traute auch nur eine empiriſche Abtheilung und Ord-
nung in das Geſchaͤft zu bringen. Man durfte nur die
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[393/0427] So wie das was eigentlich Methode ſey, den Augen der Geſellen faſt gaͤnzlich verborgen war, ſo hatte man gleichfalls eine ſorgliche Abneigung vor ei- ner Methode zu der Erfahrung. Die Unterhaltung der Geſellſchaft in ihren erſten Zeiten war immer zu- faͤllig geweſen. Was die Einen als eigenes Studium beſchaͤftigte, was die Andern als Neuigkeit intereſſirte, brachte Jeder unaufgefordert und nach Belieben vor. Eben ſo blieb es nach der uͤbrigens ſehr foͤrmlich ein- gerichteten Conſtitution. Jeder theilt mit was gerade zufaͤllig bereit iſt. Erſcheinungen der Naturlehre, Koͤr- per der Naturgeſchichte, Operationen der Technik, alles zeigt ſich bunt durch einander. Manches Unbedeutende, anderes durch einen wunderbaren Schein Intereſſirende, anderes bloß Curioſe findet Platz und Aufnahme; ja ſogar werden Verſuche mitgetheilt aus deren naͤhern Umſtaͤnden man ein Geheimniß macht. Man ſieht eine Geſellſchaft ernſthafter wuͤrdiger Maͤnner, die nach allen Richtungen Streifzuͤge durch das Feld der Naturwiſſen- ſchaft vornehmen, und weil ſie das Unermeßliche deſſel- ben anerkennen, ohne Plan und Maßregel darin her- umſchweifen. Ihre Seſſionen ſind oͤfters Quodlibets, uͤber die man ſich des Laͤchelns, ja des Lachens nicht enthalten kann. Die Angſt der Societaͤt vor irgend einer rationel- len Behandlung war ſo groß, daß ſich Niemand ge- traute auch nur eine empiriſche Abtheilung und Ord- nung in das Geſchaͤft zu bringen. Man durfte nur die verſchiedenen Klaſſen der Gegenſtaͤnde, man durfte

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/427>, abgerufen am 21.11.2024.