Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

jener Zeit in alten physicalischen Rüstkammern und ihre
Unbehülflichkeit nicht mit Verwunderung und Bedauern.

Das größte Uebel aber entsprang aus einer ge-
wissen Verfahrungsart selbst. Man hatte kaum den
Begriff, daß man ein Phänomen, einen Versuch auf
seine Elemente reduciren könne; daß man ihn zerglie-
dern, vereinfachen und wieder vermannigfaltigen müsse,
um zu erfahren, wohin er eigentlich deute. Die flei-
ßigsten Beobachter der damaligen Zeit geben Anlaß zu
dieser Reflexion, und Newtons Theorie hätte nicht ent-
stehen können, wenn er für diese Hauptmaxime, die
den Experimentirenden leiten soll, irgend einen Sinn
gehabt hätte. Man ergriff einen verwickelten Versuch
und eilte sogleich zu einer Theorie die ihn unmittelbar
erklären sollte; man that gerade das Gegentheil von
dem was man in Mund und Wappen führte.


Robert Hook.

Hook, der Experimentator und Sekretär der So-
cietät, war in demselben Falle, und ob ihm gleich die
Gesellschaft manches schuldig ist, so hat ihr doch sein
Character viel Nachtheil gebracht. Er war ein lebhaf-
ter, unruhig thätiger Mann, von den ausgebreitetsten
Kenntnissen; aber er wollte auch nichts für neu oder
bedeutend gelten lassen, was irgend angebracht und

jener Zeit in alten phyſicaliſchen Ruͤſtkammern und ihre
Unbehuͤlflichkeit nicht mit Verwunderung und Bedauern.

Das groͤßte Uebel aber entſprang aus einer ge-
wiſſen Verfahrungsart ſelbſt. Man hatte kaum den
Begriff, daß man ein Phaͤnomen, einen Verſuch auf
ſeine Elemente reduciren koͤnne; daß man ihn zerglie-
dern, vereinfachen und wieder vermannigfaltigen muͤſſe,
um zu erfahren, wohin er eigentlich deute. Die flei-
ßigſten Beobachter der damaligen Zeit geben Anlaß zu
dieſer Reflexion, und Newtons Theorie haͤtte nicht ent-
ſtehen koͤnnen, wenn er fuͤr dieſe Hauptmaxime, die
den Experimentirenden leiten ſoll, irgend einen Sinn
gehabt haͤtte. Man ergriff einen verwickelten Verſuch
und eilte ſogleich zu einer Theorie die ihn unmittelbar
erklaͤren ſollte; man that gerade das Gegentheil von
dem was man in Mund und Wappen fuͤhrte.


Robert Hook.

Hook, der Experimentator und Sekretaͤr der So-
cietaͤt, war in demſelben Falle, und ob ihm gleich die
Geſellſchaft manches ſchuldig iſt, ſo hat ihr doch ſein
Character viel Nachtheil gebracht. Er war ein lebhaf-
ter, unruhig thaͤtiger Mann, von den ausgebreitetſten
Kenntniſſen; aber er wollte auch nichts fuͤr neu oder
bedeutend gelten laſſen, was irgend angebracht und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0433" n="399"/>
jener Zeit in alten phy&#x017F;icali&#x017F;chen Ru&#x0364;&#x017F;tkammern und ihre<lb/>
Unbehu&#x0364;lflichkeit nicht mit Verwunderung und Bedauern.</p><lb/>
            <p>Das gro&#x0364;ßte Uebel aber ent&#x017F;prang aus einer ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Verfahrungsart &#x017F;elb&#x017F;t. Man hatte kaum den<lb/>
Begriff, daß man ein Pha&#x0364;nomen, einen Ver&#x017F;uch auf<lb/>
&#x017F;eine Elemente reduciren ko&#x0364;nne; daß man ihn zerglie-<lb/>
dern, vereinfachen und wieder vermannigfaltigen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
um zu erfahren, wohin er eigentlich deute. Die flei-<lb/>
ßig&#x017F;ten Beobachter der damaligen Zeit geben Anlaß zu<lb/>
die&#x017F;er Reflexion, und Newtons Theorie ha&#x0364;tte nicht ent-<lb/>
&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen, wenn er fu&#x0364;r die&#x017F;e Hauptmaxime, die<lb/>
den Experimentirenden leiten &#x017F;oll, irgend einen Sinn<lb/>
gehabt ha&#x0364;tte. Man ergriff einen verwickelten Ver&#x017F;uch<lb/>
und eilte &#x017F;ogleich zu einer Theorie die ihn unmittelbar<lb/>
erkla&#x0364;ren &#x017F;ollte; man that gerade das Gegentheil von<lb/>
dem was man in Mund und Wappen fu&#x0364;hrte.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#g">Robert Hook</hi>.</head><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Hook, der Experimentator und Sekreta&#x0364;r der So-<lb/>
cieta&#x0364;t, war in dem&#x017F;elben Falle, und ob ihm gleich die<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft manches &#x017F;chuldig i&#x017F;t, &#x017F;o hat ihr doch &#x017F;ein<lb/>
Character viel Nachtheil gebracht. Er war ein lebhaf-<lb/>
ter, unruhig tha&#x0364;tiger Mann, von den ausgebreitet&#x017F;ten<lb/>
Kenntni&#x017F;&#x017F;en; aber er wollte auch nichts fu&#x0364;r neu oder<lb/>
bedeutend gelten la&#x017F;&#x017F;en, was irgend angebracht und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0433] jener Zeit in alten phyſicaliſchen Ruͤſtkammern und ihre Unbehuͤlflichkeit nicht mit Verwunderung und Bedauern. Das groͤßte Uebel aber entſprang aus einer ge- wiſſen Verfahrungsart ſelbſt. Man hatte kaum den Begriff, daß man ein Phaͤnomen, einen Verſuch auf ſeine Elemente reduciren koͤnne; daß man ihn zerglie- dern, vereinfachen und wieder vermannigfaltigen muͤſſe, um zu erfahren, wohin er eigentlich deute. Die flei- ßigſten Beobachter der damaligen Zeit geben Anlaß zu dieſer Reflexion, und Newtons Theorie haͤtte nicht ent- ſtehen koͤnnen, wenn er fuͤr dieſe Hauptmaxime, die den Experimentirenden leiten ſoll, irgend einen Sinn gehabt haͤtte. Man ergriff einen verwickelten Verſuch und eilte ſogleich zu einer Theorie die ihn unmittelbar erklaͤren ſollte; man that gerade das Gegentheil von dem was man in Mund und Wappen fuͤhrte. Robert Hook. Hook, der Experimentator und Sekretaͤr der So- cietaͤt, war in demſelben Falle, und ob ihm gleich die Geſellſchaft manches ſchuldig iſt, ſo hat ihr doch ſein Character viel Nachtheil gebracht. Er war ein lebhaf- ter, unruhig thaͤtiger Mann, von den ausgebreitetſten Kenntniſſen; aber er wollte auch nichts fuͤr neu oder bedeutend gelten laſſen, was irgend angebracht und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/433
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/433>, abgerufen am 22.11.2024.