tion so sehr bedeutend finden wollte. Die Geister hiel- ten fest an jener Vorstellung, daß Incidenz und Bre- chung in bestimmtem Verhältnisse stehen müsse, und die Frage war natürlich: ob nicht etwa auch bey die- ser scheinbar aus der Regel schreitenden Erscheinung eine verschiedene Incidenz im Spiele sey?
Newton wendete also hier ganz zweckmäßig seine mathematische Genauigkeit an diesen Punct und zeigte, soviel wir ihn beurtheilen können, gründlich, obgleich mit etwas zu viel Umständlichkeit, daß die Farbener- scheinung keiner diversen Incidenz zugeschrieben werden könne; worin er denn auch ganz Recht hat und wo- gegen nichts weiter zu sagen ist.
Sechste Bedingung. Ob vielleicht die Strah- len nach der Refraction sich in krummen Linien fort- pflanzen und also das so seltsam verlängerte Bild her- vorbringen?
Durch Descartes und andre, welche zu mechani- schen Erklärungsarten geneigt waren, kam beym Lichte, beym Schall und bey andern schwer zu versinnlichen- den Bewegungen, das in mechanischen Fällen übrigens ganz brauchbare Beyspiel vom Ballschlag zur Sprache. Weil nun der geschlagene Ball sich nicht in gerader Li- nie sondern in einer krummen bewegt, so konnte man nach jener globularen Vorstellungsart denken, das Licht erhalte bey der Refraction einen solchen Schub, daß es aus seiner geradlinigen Bewegung in eine krummli-
tion ſo ſehr bedeutend finden wollte. Die Geiſter hiel- ten feſt an jener Vorſtellung, daß Incidenz und Bre- chung in beſtimmtem Verhaͤltniſſe ſtehen muͤſſe, und die Frage war natuͤrlich: ob nicht etwa auch bey die- ſer ſcheinbar aus der Regel ſchreitenden Erſcheinung eine verſchiedene Incidenz im Spiele ſey?
Newton wendete alſo hier ganz zweckmaͤßig ſeine mathematiſche Genauigkeit an dieſen Punct und zeigte, ſoviel wir ihn beurtheilen koͤnnen, gruͤndlich, obgleich mit etwas zu viel Umſtaͤndlichkeit, daß die Farbener- ſcheinung keiner diverſen Incidenz zugeſchrieben werden koͤnne; worin er denn auch ganz Recht hat und wo- gegen nichts weiter zu ſagen iſt.
Sechſte Bedingung. Ob vielleicht die Strah- len nach der Refraction ſich in krummen Linien fort- pflanzen und alſo das ſo ſeltſam verlaͤngerte Bild her- vorbringen?
Durch Descartes und andre, welche zu mechani- ſchen Erklaͤrungsarten geneigt waren, kam beym Lichte, beym Schall und bey andern ſchwer zu verſinnlichen- den Bewegungen, das in mechaniſchen Faͤllen uͤbrigens ganz brauchbare Beyſpiel vom Ballſchlag zur Sprache. Weil nun der geſchlagene Ball ſich nicht in gerader Li- nie ſondern in einer krummen bewegt, ſo konnte man nach jener globularen Vorſtellungsart denken, das Licht erhalte bey der Refraction einen ſolchen Schub, daß es aus ſeiner geradlinigen Bewegung in eine krummli-
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tion ſo ſehr bedeutend finden wollte. Die Geiſter hiel-
ten feſt an jener Vorſtellung, daß Incidenz und Bre-
chung in beſtimmtem Verhaͤltniſſe ſtehen muͤſſe, und
die Frage war natuͤrlich: ob nicht etwa auch bey die-
ſer ſcheinbar aus der Regel ſchreitenden Erſcheinung
eine verſchiedene Incidenz im Spiele ſey?
Newton wendete alſo hier ganz zweckmaͤßig ſeine
mathematiſche Genauigkeit an dieſen Punct und zeigte,
ſoviel wir ihn beurtheilen koͤnnen, gruͤndlich, obgleich
mit etwas zu viel Umſtaͤndlichkeit, daß die Farbener-
ſcheinung keiner diverſen Incidenz zugeſchrieben werden
koͤnne; worin er denn auch ganz Recht hat und wo-
gegen nichts weiter zu ſagen iſt.
Sechſte Bedingung. Ob vielleicht die Strah-
len nach der Refraction ſich in krummen Linien fort-
pflanzen und alſo das ſo ſeltſam verlaͤngerte Bild her-
vorbringen?
Durch Descartes und andre, welche zu mechani-
ſchen Erklaͤrungsarten geneigt waren, kam beym Lichte,
beym Schall und bey andern ſchwer zu verſinnlichen-
den Bewegungen, das in mechaniſchen Faͤllen uͤbrigens
ganz brauchbare Beyſpiel vom Ballſchlag zur Sprache.
Weil nun der geſchlagene Ball ſich nicht in gerader Li-
nie ſondern in einer krummen bewegt, ſo konnte man
nach jener globularen Vorſtellungsart denken, das Licht
erhalte bey der Refraction einen ſolchen Schub, daß
es aus ſeiner geradlinigen Bewegung in eine krummli-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/448>, abgerufen am 21.11.2024.
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