Empedocles nun scheint einmal zu behaupten, indem das Licht herausgehe, sähen wir, ein andermal wieder durch Aus- oder Abflüsse von den gesehenen Gegenständen.
Democritus hingegen, so fern er behauptet das Auge sey Wasser, hat Recht; so fern er aber meint, daß Sehen sey eine Emphasis (Spiegelung), hat er Unrecht. Denn dieß geschieht, weil das Auge glatt ist, und eine Emphasis findet nicht statt im Gegenstande, sondern im Sehenden: denn der Zustand ist eine Zurückwerfung. Doch über die Emphänomena und über die Zurückwer- fung hatte er, wie es scheint, keine deutlichen Begriffe. Sonderbar ist es auch, daß ihm nicht die Frage aufstieß: warum das Auge allein sieht, die andern Dinge, worin die Bilder sich spiegeln, aber nicht. Daß nun das Auge Wasser sey, darin hat er Recht. Das Sehen aber ge- schieht nicht, in so fern das Auge Wasser ist, sondern in so fern das Wasser durchsichtig ist, welche Eigen- schaft es mit der Luft gemein hat.
Democritus aber und die meisten Physiologen, die von der Wahrnehmung des Sinnes handeln, behaupten etwas ganz unstatthaftes. Denn alles Empfindbare machen sie zu etwas Fühlbarem; da doch, wenn dem so wäre, in die Augen fällt, daß auch alle übrigen Empfindungen ein Fühlen seyn müßten; welches, wie leicht einzusehen, unmöglich. Ferner machen sie, was allen Wahrnehmungen der Sinne gemeinschaftlich ist, zu einem Eigenthümlichen. Denn Größe und Gestalt, Rauhes und Glattes, Scharfes und Stumpfes an den
Empedocles nun ſcheint einmal zu behaupten, indem das Licht herausgehe, ſaͤhen wir, ein andermal wieder durch Aus- oder Abfluͤſſe von den geſehenen Gegenſtaͤnden.
Democritus hingegen, ſo fern er behauptet das Auge ſey Waſſer, hat Recht; ſo fern er aber meint, daß Sehen ſey eine Emphaſis (Spiegelung), hat er Unrecht. Denn dieß geſchieht, weil das Auge glatt iſt, und eine Emphaſis findet nicht ſtatt im Gegenſtande, ſondern im Sehenden: denn der Zuſtand iſt eine Zuruͤckwerfung. Doch uͤber die Emphaͤnomena und uͤber die Zuruͤckwer- fung hatte er, wie es ſcheint, keine deutlichen Begriffe. Sonderbar iſt es auch, daß ihm nicht die Frage aufſtieß: warum das Auge allein ſieht, die andern Dinge, worin die Bilder ſich ſpiegeln, aber nicht. Daß nun das Auge Waſſer ſey, darin hat er Recht. Das Sehen aber ge- ſchieht nicht, in ſo fern das Auge Waſſer iſt, ſondern in ſo fern das Waſſer durchſichtig iſt, welche Eigen- ſchaft es mit der Luft gemein hat.
Democritus aber und die meiſten Phyſiologen, die von der Wahrnehmung des Sinnes handeln, behaupten etwas ganz unſtatthaftes. Denn alles Empfindbare machen ſie zu etwas Fuͤhlbarem; da doch, wenn dem ſo waͤre, in die Augen faͤllt, daß auch alle uͤbrigen Empfindungen ein Fuͤhlen ſeyn muͤßten; welches, wie leicht einzuſehen, unmoͤglich. Ferner machen ſie, was allen Wahrnehmungen der Sinne gemeinſchaftlich iſt, zu einem Eigenthuͤmlichen. Denn Groͤße und Geſtalt, Rauhes und Glattes, Scharfes und Stumpfes an den
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Empedocles nun ſcheint einmal zu behaupten, indem
das Licht herausgehe, ſaͤhen wir, ein andermal wieder
durch Aus- oder Abfluͤſſe von den geſehenen Gegenſtaͤnden.
Democritus hingegen, ſo fern er behauptet das
Auge ſey Waſſer, hat Recht; ſo fern er aber meint,
daß Sehen ſey eine Emphaſis (Spiegelung), hat er Unrecht.
Denn dieß geſchieht, weil das Auge glatt iſt, und eine
Emphaſis findet nicht ſtatt im Gegenſtande, ſondern im
Sehenden: denn der Zuſtand iſt eine Zuruͤckwerfung.
Doch uͤber die Emphaͤnomena und uͤber die Zuruͤckwer-
fung hatte er, wie es ſcheint, keine deutlichen Begriffe.
Sonderbar iſt es auch, daß ihm nicht die Frage aufſtieß:
warum das Auge allein ſieht, die andern Dinge, worin
die Bilder ſich ſpiegeln, aber nicht. Daß nun das Auge
Waſſer ſey, darin hat er Recht. Das Sehen aber ge-
ſchieht nicht, in ſo fern das Auge Waſſer iſt, ſondern
in ſo fern das Waſſer durchſichtig iſt, welche Eigen-
ſchaft es mit der Luft gemein hat.
Democritus aber und die meiſten Phyſiologen, die
von der Wahrnehmung des Sinnes handeln, behaupten
etwas ganz unſtatthaftes. Denn alles Empfindbare
machen ſie zu etwas Fuͤhlbarem; da doch, wenn dem
ſo waͤre, in die Augen faͤllt, daß auch alle uͤbrigen
Empfindungen ein Fuͤhlen ſeyn muͤßten; welches, wie
leicht einzuſehen, unmoͤglich. Ferner machen ſie, was
allen Wahrnehmungen der Sinne gemeinſchaftlich iſt,
zu einem Eigenthuͤmlichen. Denn Groͤße und Geſtalt,
Rauhes und Glattes, Scharfes und Stumpfes an den
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/46>, abgerufen am 21.11.2024.
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