eine werde blau, das andere orange angestrichen; man befestige sie aneinander und lege sie so nebeneinander ins Wasser. Wären diese Farben divers refrangibel, so müßte das eine mehr als das andere, nach dem Au- ge zu, gebogen erscheinen, welches aber nicht geschieht; so daß also an diesem einfachsten aller Versuche die Newtonische Lehre scheitert. Die sehr leichte Vorrich- tung zu beyden darf künftig bey keinem physicalischen Apparat mehr fehlen.
c. Zuletzt kommt Lucas auf die Spur, daß die prismatische Farbe eine Randerscheinung sey, die sich umkehre, je nachdem dem Bilde ein hellerer oder dunk- lerer Grund als es selbst ist, unterliegt. Man kann ihm also nicht abläugnen, daß er das wahre Funda- ment aller prismatischen Erscheinungen erkannt habe, und es muß uns unendlich freuen, der Wahrheit die sich aus England flüchten muß, in Lüttich zu begegnen. Nur bringt freylich Lucas die Sache nicht ins Enge, weil er immer noch mit Licht und Lichstrahl zu operi- ren glaubt; doch ist er dem Rechten so nahe, daß er es wagt, den kühnen Gedanken zu äußern: wenn es möglich wäre, daß hinter der Sonne ein hellerer Grund hervorträte, so müßte das prismatische Bild umgekehrt erscheinen. Aus diesem wahrhaft grandiosen Apercü ist klar, daß Lucas für seine Person der Sache auf den Grund gesehen, und es ist Schade, daß er nicht be- harrlicher gewesen und die Materie, ohne weiter zu controvertiren, durchgearbeitet. Wie es zugegangen, daß er bey so schönen Einsichten die Sache ruhen lassen,
eine werde blau, das andere orange angeſtrichen; man befeſtige ſie aneinander und lege ſie ſo nebeneinander ins Waſſer. Waͤren dieſe Farben divers refrangibel, ſo muͤßte das eine mehr als das andere, nach dem Au- ge zu, gebogen erſcheinen, welches aber nicht geſchieht; ſo daß alſo an dieſem einfachſten aller Verſuche die Newtoniſche Lehre ſcheitert. Die ſehr leichte Vorrich- tung zu beyden darf kuͤnftig bey keinem phyſicaliſchen Apparat mehr fehlen.
c. Zuletzt kommt Lucas auf die Spur, daß die prismatiſche Farbe eine Randerſcheinung ſey, die ſich umkehre, je nachdem dem Bilde ein hellerer oder dunk- lerer Grund als es ſelbſt iſt, unterliegt. Man kann ihm alſo nicht ablaͤugnen, daß er das wahre Funda- ment aller prismatiſchen Erſcheinungen erkannt habe, und es muß uns unendlich freuen, der Wahrheit die ſich aus England fluͤchten muß, in Luͤttich zu begegnen. Nur bringt freylich Lucas die Sache nicht ins Enge, weil er immer noch mit Licht und Lichſtrahl zu operi- ren glaubt; doch iſt er dem Rechten ſo nahe, daß er es wagt, den kuͤhnen Gedanken zu aͤußern: wenn es moͤglich waͤre, daß hinter der Sonne ein hellerer Grund hervortraͤte, ſo muͤßte das prismatiſche Bild umgekehrt erſcheinen. Aus dieſem wahrhaft grandioſen Aperçuͤ iſt klar, daß Lucas fuͤr ſeine Perſon der Sache auf den Grund geſehen, und es iſt Schade, daß er nicht be- harrlicher geweſen und die Materie, ohne weiter zu controvertiren, durchgearbeitet. Wie es zugegangen, daß er bey ſo ſchoͤnen Einſichten die Sache ruhen laſſen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0470"n="436"/>
eine werde blau, das andere orange angeſtrichen; man<lb/>
befeſtige ſie aneinander und lege ſie ſo nebeneinander<lb/>
ins Waſſer. Waͤren dieſe Farben divers refrangibel,<lb/>ſo muͤßte das eine mehr als das andere, nach dem Au-<lb/>
ge zu, gebogen erſcheinen, welches aber nicht geſchieht;<lb/>ſo daß alſo an dieſem einfachſten aller Verſuche die<lb/>
Newtoniſche Lehre ſcheitert. Die ſehr leichte Vorrich-<lb/>
tung zu beyden darf kuͤnftig bey keinem phyſicaliſchen<lb/>
Apparat mehr fehlen.</p><lb/><p><hirendition="#aq">c.</hi> Zuletzt kommt Lucas auf die Spur, daß die<lb/>
prismatiſche Farbe eine Randerſcheinung ſey, die ſich<lb/>
umkehre, je nachdem dem Bilde ein hellerer oder dunk-<lb/>
lerer Grund als es ſelbſt iſt, unterliegt. Man kann<lb/>
ihm alſo nicht ablaͤugnen, daß er das wahre Funda-<lb/>
ment aller prismatiſchen Erſcheinungen erkannt habe,<lb/>
und es muß uns unendlich freuen, der Wahrheit die<lb/>ſich aus England fluͤchten muß, in Luͤttich zu begegnen.<lb/>
Nur bringt freylich Lucas die Sache nicht ins Enge,<lb/>
weil er immer noch mit Licht und Lichſtrahl zu operi-<lb/>
ren glaubt; doch iſt er dem Rechten ſo nahe, daß er<lb/>
es wagt, den kuͤhnen Gedanken zu aͤußern: wenn es<lb/>
moͤglich waͤre, daß hinter der Sonne ein hellerer Grund<lb/>
hervortraͤte, ſo muͤßte das prismatiſche Bild umgekehrt<lb/>
erſcheinen. Aus dieſem wahrhaft grandioſen Aper<hirendition="#aq">ç</hi>uͤ iſt<lb/>
klar, daß Lucas fuͤr ſeine Perſon der Sache auf den<lb/>
Grund geſehen, und es iſt Schade, daß er nicht be-<lb/>
harrlicher geweſen und die Materie, ohne weiter zu<lb/>
controvertiren, durchgearbeitet. Wie es zugegangen,<lb/>
daß er bey ſo ſchoͤnen Einſichten die Sache ruhen laſſen,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[436/0470]
eine werde blau, das andere orange angeſtrichen; man
befeſtige ſie aneinander und lege ſie ſo nebeneinander
ins Waſſer. Waͤren dieſe Farben divers refrangibel,
ſo muͤßte das eine mehr als das andere, nach dem Au-
ge zu, gebogen erſcheinen, welches aber nicht geſchieht;
ſo daß alſo an dieſem einfachſten aller Verſuche die
Newtoniſche Lehre ſcheitert. Die ſehr leichte Vorrich-
tung zu beyden darf kuͤnftig bey keinem phyſicaliſchen
Apparat mehr fehlen.
c. Zuletzt kommt Lucas auf die Spur, daß die
prismatiſche Farbe eine Randerſcheinung ſey, die ſich
umkehre, je nachdem dem Bilde ein hellerer oder dunk-
lerer Grund als es ſelbſt iſt, unterliegt. Man kann
ihm alſo nicht ablaͤugnen, daß er das wahre Funda-
ment aller prismatiſchen Erſcheinungen erkannt habe,
und es muß uns unendlich freuen, der Wahrheit die
ſich aus England fluͤchten muß, in Luͤttich zu begegnen.
Nur bringt freylich Lucas die Sache nicht ins Enge,
weil er immer noch mit Licht und Lichſtrahl zu operi-
ren glaubt; doch iſt er dem Rechten ſo nahe, daß er
es wagt, den kuͤhnen Gedanken zu aͤußern: wenn es
moͤglich waͤre, daß hinter der Sonne ein hellerer Grund
hervortraͤte, ſo muͤßte das prismatiſche Bild umgekehrt
erſcheinen. Aus dieſem wahrhaft grandioſen Aperçuͤ iſt
klar, daß Lucas fuͤr ſeine Perſon der Sache auf den
Grund geſehen, und es iſt Schade, daß er nicht be-
harrlicher geweſen und die Materie, ohne weiter zu
controvertiren, durchgearbeitet. Wie es zugegangen,
daß er bey ſo ſchoͤnen Einſichten die Sache ruhen laſſen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/470>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.