Die Zeit in welcher Newton geboren ward, ist eine der prägnantesten in der englischen, ja in der Weltgeschichte überhaupt. Er war vier Jahr alt, als Carl der I. enthauptet wurde, und erlebte die Thron- besteigung Georgs des I. Ungeheure Conflicte bewegten Staat und Kirche, jedes für sich und beyde gegen ein- ander, auf die mannigfaltigste und abwechselndste Weise. Ein König ward hingerichtet; entgegengesetzte Volks- und Kriegsparteyen stürmten wider einander; Regierungs- veränderungen, Veränderungen des Ministeriums, der Parlamente, folgten sich gedrängt; ein wiederhergestell- tes mit Glanz geführtes Königthum ward abermals er- schüttert; ein König vertrieben, der Thron von einem Fremden in Besitz genommen, und abermals nicht ver- erbt, sondern einem Fremden abgetreten.
Wie muß nicht durch eine solche Zeit ein Jeder sich angeregt, sich aufgefordert fühlen! Was muß das aber für ein eigener Mann seyn, den seine Geburt, seine Fähigkeiten zu mancherley Anspruch berechtigen, und der alles ablehnt und ruhig seinem von Natur ein- gepflanzten Forscherberuf folgt!
Newton war ein wohlorganisirter, gesunder, wohl- temperirter Mann, ohne Leidenschaft, ohne Begierden. Sein Geist war constructiver Natur und zwar im ab- stractesten Sinne; daher war die höhere Mathematik ihm als das eigentliche Organ gegeben, durch das er seine innere Welt aufzubauen und die äußere zu ge- wältigen suchte. Wir maßen uns über dieses sein Haupt-
Die Zeit in welcher Newton geboren ward, iſt eine der praͤgnanteſten in der engliſchen, ja in der Weltgeſchichte uͤberhaupt. Er war vier Jahr alt, als Carl der I. enthauptet wurde, und erlebte die Thron- beſteigung Georgs des I. Ungeheure Conflicte bewegten Staat und Kirche, jedes fuͤr ſich und beyde gegen ein- ander, auf die mannigfaltigſte und abwechſelndſte Weiſe. Ein Koͤnig ward hingerichtet; entgegengeſetzte Volks- und Kriegsparteyen ſtuͤrmten wider einander; Regierungs- veraͤnderungen, Veraͤnderungen des Miniſteriums, der Parlamente, folgten ſich gedraͤngt; ein wiederhergeſtell- tes mit Glanz gefuͤhrtes Koͤnigthum ward abermals er- ſchuͤttert; ein Koͤnig vertrieben, der Thron von einem Fremden in Beſitz genommen, und abermals nicht ver- erbt, ſondern einem Fremden abgetreten.
Wie muß nicht durch eine ſolche Zeit ein Jeder ſich angeregt, ſich aufgefordert fuͤhlen! Was muß das aber fuͤr ein eigener Mann ſeyn, den ſeine Geburt, ſeine Faͤhigkeiten zu mancherley Anſpruch berechtigen, und der alles ablehnt und ruhig ſeinem von Natur ein- gepflanzten Forſcherberuf folgt!
Newton war ein wohlorganiſirter, geſunder, wohl- temperirter Mann, ohne Leidenſchaft, ohne Begierden. Sein Geiſt war conſtructiver Natur und zwar im ab- ſtracteſten Sinne; daher war die hoͤhere Mathematik ihm als das eigentliche Organ gegeben, durch das er ſeine innere Welt aufzubauen und die aͤußere zu ge- waͤltigen ſuchte. Wir maßen uns uͤber dieſes ſein Haupt-
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Die Zeit in welcher Newton geboren ward, iſt
eine der praͤgnanteſten in der engliſchen, ja in der
Weltgeſchichte uͤberhaupt. Er war vier Jahr alt, als
Carl der I. enthauptet wurde, und erlebte die Thron-
beſteigung Georgs des I. Ungeheure Conflicte bewegten
Staat und Kirche, jedes fuͤr ſich und beyde gegen ein-
ander, auf die mannigfaltigſte und abwechſelndſte Weiſe.
Ein Koͤnig ward hingerichtet; entgegengeſetzte Volks-
und Kriegsparteyen ſtuͤrmten wider einander; Regierungs-
veraͤnderungen, Veraͤnderungen des Miniſteriums, der
Parlamente, folgten ſich gedraͤngt; ein wiederhergeſtell-
tes mit Glanz gefuͤhrtes Koͤnigthum ward abermals er-
ſchuͤttert; ein Koͤnig vertrieben, der Thron von einem
Fremden in Beſitz genommen, und abermals nicht ver-
erbt, ſondern einem Fremden abgetreten.
Wie muß nicht durch eine ſolche Zeit ein Jeder
ſich angeregt, ſich aufgefordert fuͤhlen! Was muß das
aber fuͤr ein eigener Mann ſeyn, den ſeine Geburt,
ſeine Faͤhigkeiten zu mancherley Anſpruch berechtigen,
und der alles ablehnt und ruhig ſeinem von Natur ein-
gepflanzten Forſcherberuf folgt!
Newton war ein wohlorganiſirter, geſunder, wohl-
temperirter Mann, ohne Leidenſchaft, ohne Begierden.
Sein Geiſt war conſtructiver Natur und zwar im ab-
ſtracteſten Sinne; daher war die hoͤhere Mathematik
ihm als das eigentliche Organ gegeben, durch das er
ſeine innere Welt aufzubauen und die aͤußere zu ge-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/509>, abgerufen am 22.11.2024.
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