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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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wie bey über- oder nebeneinander liegenden Farben
geschieht.


Wie die Farben aus der Mischung des Weißen
und Schwarzen entstehen, so auch die Geschmäcke aus
der des Süßen und Bittern; und zwar nach Verhält-
niß des Mehr oder Weniger, es sey der Zahl nach,
oder der Bewegung, oder unbestimmt. Die angeneh-
men Geschmäcke beruhen auf dem Zahlenverhältniß.
Der fette Geschmack gehört zu dem süßen; der salzige
und bittre sind beynahe eins. Der beißende, herbe,
zusammenziehende und saure fallen dazwischen. Schier
wie die Arten des Geschmacks verhalten sich auch die
Species der Farben. Denn beyder sind sieben; wenn
man, wie billig, das phaion zum Schwarzen rechnet.
Daraus folgt, daß das Gelbe zum Weißen gehöre, wie
das Fette zum Süßen. Das Rothe, Violette, Grüne
und Blaue liegt zwischen dem Weißen und Schwarzen.
Die übrigen sind aus diesen gemischt. Und wie das
Schwarze eine Beraubung des Weißen im Durchsichti-
gen; so ist das Salzige und Bittre eine Beraubung
des Süßen in dem nährenden Feuchten. Darum ist
die Asche aller verbrannten Körper bitter: denn das
Trinkbare ist ihr entzogen.


Die empfindbaren Dinge geben uns durch einen
jeglichen Sinn eine Empfindung, und dieser durch die-
selben in uns entstehende Zustand dauert nicht blos so

wie bey uͤber- oder nebeneinander liegenden Farben
geſchieht.


Wie die Farben aus der Miſchung des Weißen
und Schwarzen entſtehen, ſo auch die Geſchmaͤcke aus
der des Suͤßen und Bittern; und zwar nach Verhaͤlt-
niß des Mehr oder Weniger, es ſey der Zahl nach,
oder der Bewegung, oder unbeſtimmt. Die angeneh-
men Geſchmaͤcke beruhen auf dem Zahlenverhaͤltniß.
Der fette Geſchmack gehoͤrt zu dem ſuͤßen; der ſalzige
und bittre ſind beynahe eins. Der beißende, herbe,
zuſammenziehende und ſaure fallen dazwiſchen. Schier
wie die Arten des Geſchmacks verhalten ſich auch die
Species der Farben. Denn beyder ſind ſieben; wenn
man, wie billig, das φαιὸν zum Schwarzen rechnet.
Daraus folgt, daß das Gelbe zum Weißen gehoͤre, wie
das Fette zum Suͤßen. Das Rothe, Violette, Gruͤne
und Blaue liegt zwiſchen dem Weißen und Schwarzen.
Die uͤbrigen ſind aus dieſen gemiſcht. Und wie das
Schwarze eine Beraubung des Weißen im Durchſichti-
gen; ſo iſt das Salzige und Bittre eine Beraubung
des Suͤßen in dem naͤhrenden Feuchten. Darum iſt
die Aſche aller verbrannten Koͤrper bitter: denn das
Trinkbare iſt ihr entzogen.


Die empfindbaren Dinge geben uns durch einen
jeglichen Sinn eine Empfindung, und dieſer durch die-
ſelben in uns entſtehende Zuſtand dauert nicht blos ſo

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[22/0056] wie bey uͤber- oder nebeneinander liegenden Farben geſchieht. Wie die Farben aus der Miſchung des Weißen und Schwarzen entſtehen, ſo auch die Geſchmaͤcke aus der des Suͤßen und Bittern; und zwar nach Verhaͤlt- niß des Mehr oder Weniger, es ſey der Zahl nach, oder der Bewegung, oder unbeſtimmt. Die angeneh- men Geſchmaͤcke beruhen auf dem Zahlenverhaͤltniß. Der fette Geſchmack gehoͤrt zu dem ſuͤßen; der ſalzige und bittre ſind beynahe eins. Der beißende, herbe, zuſammenziehende und ſaure fallen dazwiſchen. Schier wie die Arten des Geſchmacks verhalten ſich auch die Species der Farben. Denn beyder ſind ſieben; wenn man, wie billig, das φαιὸν zum Schwarzen rechnet. Daraus folgt, daß das Gelbe zum Weißen gehoͤre, wie das Fette zum Suͤßen. Das Rothe, Violette, Gruͤne und Blaue liegt zwiſchen dem Weißen und Schwarzen. Die uͤbrigen ſind aus dieſen gemiſcht. Und wie das Schwarze eine Beraubung des Weißen im Durchſichti- gen; ſo iſt das Salzige und Bittre eine Beraubung des Suͤßen in dem naͤhrenden Feuchten. Darum iſt die Aſche aller verbrannten Koͤrper bitter: denn das Trinkbare iſt ihr entzogen. Die empfindbaren Dinge geben uns durch einen jeglichen Sinn eine Empfindung, und dieſer durch die- ſelben in uns entſtehende Zuſtand dauert nicht blos ſo

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/56>, abgerufen am 24.11.2024.