Sich dieser Rahmen zu bedienen, verfertigt er ein Kästchen worein sie passen, wovon die eine Seite ganz offen und nach der Sonne gerichtet ist, die an- dere aber mit einer hinreichenden Oeffnung versehen, daß man die gefärbten Flächen überschauen könne.
Bey diesen Operationen, die so einfach sind, und eben weil sie so einfach sind, steht ihm die Newtoni- sche Theorie im Wege, worüber er sich, zwar mit vorhergeschickten Protestationen, daß er dem scharfsin- nigen und curiosen System keinesweges zu widerspre- chen wage, folgendermaßen äußert:
"Die Wirkung, welche von diesen gefärbten durchscheinenden Papieren hervorgebracht wird, scheint nicht mit dem gegenwärtigen System von der Bildung der Farben übereinzustimmen. Denn das Papier wor- auf man z. B. die blaue Farbe angebracht hat, wirft die blauen Strahlen zurück, wenn man es durch die große Oeffnung des Kastens betrachtet, indeß die an- dere geschlossen ist. Schaut man aber durch die klei- nere, indeß die größere gegen die Sonne gewendet ist, so erblickt man durch das Papier hindurch eben diesel- ben blauen Strahlen. Dieses aber wäre, dem Sy- stem nach, ein Widerspruch, weil ja dasselbe Papier dieselben Strahlen zurückwirft und durchläßt. Man kann auch nicht sagen, das Papier werfe nur einen Theil zurück und lasse den andern durchgehen: denn bey dieser Voraussetzung müßte das Papier, indem es nur einen Theil der blauen Strahlen durchließe, die
Sich dieſer Rahmen zu bedienen, verfertigt er ein Kaͤſtchen worein ſie paſſen, wovon die eine Seite ganz offen und nach der Sonne gerichtet iſt, die an- dere aber mit einer hinreichenden Oeffnung verſehen, daß man die gefaͤrbten Flaͤchen uͤberſchauen koͤnne.
Bey dieſen Operationen, die ſo einfach ſind, und eben weil ſie ſo einfach ſind, ſteht ihm die Newtoni- ſche Theorie im Wege, woruͤber er ſich, zwar mit vorhergeſchickten Proteſtationen, daß er dem ſcharfſin- nigen und curioſen Syſtem keinesweges zu widerſpre- chen wage, folgendermaßen aͤußert:
„Die Wirkung, welche von dieſen gefaͤrbten durchſcheinenden Papieren hervorgebracht wird, ſcheint nicht mit dem gegenwaͤrtigen Syſtem von der Bildung der Farben uͤbereinzuſtimmen. Denn das Papier wor- auf man z. B. die blaue Farbe angebracht hat, wirft die blauen Strahlen zuruͤck, wenn man es durch die große Oeffnung des Kaſtens betrachtet, indeß die an- dere geſchloſſen iſt. Schaut man aber durch die klei- nere, indeß die groͤßere gegen die Sonne gewendet iſt, ſo erblickt man durch das Papier hindurch eben dieſel- ben blauen Strahlen. Dieſes aber waͤre, dem Sy- ſtem nach, ein Widerſpruch, weil ja daſſelbe Papier dieſelben Strahlen zuruͤckwirft und durchlaͤßt. Man kann auch nicht ſagen, das Papier werfe nur einen Theil zuruͤck und laſſe den andern durchgehen: denn bey dieſer Vorausſetzung muͤßte das Papier, indem es nur einen Theil der blauen Strahlen durchließe, die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0633"n="599"/><p>Sich dieſer Rahmen zu bedienen, verfertigt er<lb/>
ein Kaͤſtchen worein ſie paſſen, wovon die eine Seite<lb/>
ganz offen und nach der Sonne gerichtet iſt, die an-<lb/>
dere aber mit einer hinreichenden Oeffnung verſehen,<lb/>
daß man die gefaͤrbten Flaͤchen uͤberſchauen koͤnne.</p><lb/><p>Bey dieſen Operationen, die ſo einfach ſind, und<lb/>
eben weil ſie ſo einfach ſind, ſteht ihm die Newtoni-<lb/>ſche Theorie im Wege, woruͤber er ſich, zwar mit<lb/>
vorhergeſchickten Proteſtationen, daß er dem ſcharfſin-<lb/>
nigen und curioſen Syſtem keinesweges zu widerſpre-<lb/>
chen wage, folgendermaßen aͤußert:</p><lb/><p>„Die Wirkung, welche von dieſen gefaͤrbten<lb/>
durchſcheinenden Papieren hervorgebracht wird, ſcheint<lb/>
nicht mit dem gegenwaͤrtigen Syſtem von der Bildung<lb/>
der Farben uͤbereinzuſtimmen. Denn das Papier wor-<lb/>
auf man z. B. die blaue Farbe angebracht hat, wirft<lb/>
die blauen Strahlen zuruͤck, wenn man es durch die<lb/>
große Oeffnung des Kaſtens betrachtet, indeß die an-<lb/>
dere geſchloſſen iſt. Schaut man aber durch die klei-<lb/>
nere, indeß die groͤßere gegen die Sonne gewendet iſt,<lb/>ſo erblickt man durch das Papier hindurch eben dieſel-<lb/>
ben blauen Strahlen. Dieſes aber waͤre, dem Sy-<lb/>ſtem nach, ein Widerſpruch, weil ja daſſelbe Papier<lb/>
dieſelben Strahlen zuruͤckwirft und durchlaͤßt. Man<lb/>
kann auch nicht ſagen, das Papier werfe nur einen<lb/>
Theil zuruͤck und laſſe den andern durchgehen: denn<lb/>
bey dieſer Vorausſetzung muͤßte das Papier, indem es<lb/>
nur einen Theil der blauen Strahlen durchließe, die<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[599/0633]
Sich dieſer Rahmen zu bedienen, verfertigt er
ein Kaͤſtchen worein ſie paſſen, wovon die eine Seite
ganz offen und nach der Sonne gerichtet iſt, die an-
dere aber mit einer hinreichenden Oeffnung verſehen,
daß man die gefaͤrbten Flaͤchen uͤberſchauen koͤnne.
Bey dieſen Operationen, die ſo einfach ſind, und
eben weil ſie ſo einfach ſind, ſteht ihm die Newtoni-
ſche Theorie im Wege, woruͤber er ſich, zwar mit
vorhergeſchickten Proteſtationen, daß er dem ſcharfſin-
nigen und curioſen Syſtem keinesweges zu widerſpre-
chen wage, folgendermaßen aͤußert:
„Die Wirkung, welche von dieſen gefaͤrbten
durchſcheinenden Papieren hervorgebracht wird, ſcheint
nicht mit dem gegenwaͤrtigen Syſtem von der Bildung
der Farben uͤbereinzuſtimmen. Denn das Papier wor-
auf man z. B. die blaue Farbe angebracht hat, wirft
die blauen Strahlen zuruͤck, wenn man es durch die
große Oeffnung des Kaſtens betrachtet, indeß die an-
dere geſchloſſen iſt. Schaut man aber durch die klei-
nere, indeß die groͤßere gegen die Sonne gewendet iſt,
ſo erblickt man durch das Papier hindurch eben dieſel-
ben blauen Strahlen. Dieſes aber waͤre, dem Sy-
ſtem nach, ein Widerſpruch, weil ja daſſelbe Papier
dieſelben Strahlen zuruͤckwirft und durchlaͤßt. Man
kann auch nicht ſagen, das Papier werfe nur einen
Theil zuruͤck und laſſe den andern durchgehen: denn
bey dieſer Vorausſetzung muͤßte das Papier, indem es
nur einen Theil der blauen Strahlen durchließe, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/633>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.