haben: denn es hat jedes einzelne Beginnen so viele Schwierigkeiten, daß es einen ganzen Menschen, ja mehrere zusammen braucht, um zu einem erwünsch- ten Ziele zu gelangen. Allein dagegen hat man wieder zu bedenken, daß die Thätigkeiten, in einem höhern Sinne, nicht vereinzelt anzusehen sind, sondern daß sie einander wechselsweise zu Hülfe kommen, und daß der Mensch, wie mit andern also auch mit sich selbst, öfters in ein Bündniß treten und daher sich in meh- rere Tüchtigkeiten zu theilen und in mehreren Tu- genden zu üben hat.
Wie es mir hierin im Ganzen ergangen, würde nur durch eine umständliche Erzählung mitgetheilt wer- den können, und so mag das Gegenwärtige als ein einzelnes Capitel jenes größern Bekenntnisses angesehen werden, welches abzulegen mir vielleicht noch Zeit und Muth übrig bleibt.
Indem sich meine Zeitgenossen gleich bey dem er- sten Erscheinen meiner dichterischen Versuche freundlich genug gegen mich erwiesen, und mir, wenn sie gleich sonst mancherley auszusetzen fanden, wenigstens ein poe- tisches Talent mit Geneigtheit zuerkannten; so hatte ich selbst gegen die Dichtkunst ein eignes wundersames Verhältniß, das blos praktisch war, indem ich einen Gegenstand der mich ergriff, ein Muster das mich auf- regte, einen Vorgänger der mich anzog, so lange in meinem innern Sinn trug und hegte, bis daraus etwas entstanden war, das als mein angesehen werden mochte,
haben: denn es hat jedes einzelne Beginnen ſo viele Schwierigkeiten, daß es einen ganzen Menſchen, ja mehrere zuſammen braucht, um zu einem erwuͤnſch- ten Ziele zu gelangen. Allein dagegen hat man wieder zu bedenken, daß die Thaͤtigkeiten, in einem hoͤhern Sinne, nicht vereinzelt anzuſehen ſind, ſondern daß ſie einander wechſelsweiſe zu Huͤlfe kommen, und daß der Menſch, wie mit andern alſo auch mit ſich ſelbſt, oͤfters in ein Buͤndniß treten und daher ſich in meh- rere Tuͤchtigkeiten zu theilen und in mehreren Tu- genden zu uͤben hat.
Wie es mir hierin im Ganzen ergangen, wuͤrde nur durch eine umſtaͤndliche Erzaͤhlung mitgetheilt wer- den koͤnnen, und ſo mag das Gegenwaͤrtige als ein einzelnes Capitel jenes groͤßern Bekenntniſſes angeſehen werden, welches abzulegen mir vielleicht noch Zeit und Muth uͤbrig bleibt.
Indem ſich meine Zeitgenoſſen gleich bey dem er- ſten Erſcheinen meiner dichteriſchen Verſuche freundlich genug gegen mich erwieſen, und mir, wenn ſie gleich ſonſt mancherley auszuſetzen fanden, wenigſtens ein poe- tiſches Talent mit Geneigtheit zuerkannten; ſo hatte ich ſelbſt gegen die Dichtkunſt ein eignes wunderſames Verhaͤltniß, das blos praktiſch war, indem ich einen Gegenſtand der mich ergriff, ein Muſter das mich auf- regte, einen Vorgaͤnger der mich anzog, ſo lange in meinem innern Sinn trug und hegte, bis daraus etwas entſtanden war, das als mein angeſehen werden mochte,
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haben: denn es hat jedes einzelne Beginnen ſo viele
Schwierigkeiten, daß es einen ganzen Menſchen,
ja mehrere zuſammen braucht, um zu einem erwuͤnſch-
ten Ziele zu gelangen. Allein dagegen hat man wieder
zu bedenken, daß die Thaͤtigkeiten, in einem hoͤhern
Sinne, nicht vereinzelt anzuſehen ſind, ſondern daß ſie
einander wechſelsweiſe zu Huͤlfe kommen, und daß
der Menſch, wie mit andern alſo auch mit ſich ſelbſt,
oͤfters in ein Buͤndniß treten und daher ſich in meh-
rere Tuͤchtigkeiten zu theilen und in mehreren Tu-
genden zu uͤben hat.
Wie es mir hierin im Ganzen ergangen, wuͤrde
nur durch eine umſtaͤndliche Erzaͤhlung mitgetheilt wer-
den koͤnnen, und ſo mag das Gegenwaͤrtige als ein
einzelnes Capitel jenes groͤßern Bekenntniſſes angeſehen
werden, welches abzulegen mir vielleicht noch Zeit und
Muth uͤbrig bleibt.
Indem ſich meine Zeitgenoſſen gleich bey dem er-
ſten Erſcheinen meiner dichteriſchen Verſuche freundlich
genug gegen mich erwieſen, und mir, wenn ſie gleich
ſonſt mancherley auszuſetzen fanden, wenigſtens ein poe-
tiſches Talent mit Geneigtheit zuerkannten; ſo hatte
ich ſelbſt gegen die Dichtkunſt ein eignes wunderſames
Verhaͤltniß, das blos praktiſch war, indem ich einen
Gegenſtand der mich ergriff, ein Muſter das mich auf-
regte, einen Vorgaͤnger der mich anzog, ſo lange in
meinem innern Sinn trug und hegte, bis daraus etwas
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/701>, abgerufen am 22.11.2024.
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