Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.
Beliebt's euch überall zu naschen, Im Fliehen etwas zu erhaschen; Bekomm' euch wohl was euch ergetzt. Nur greift mir zu und seyd nicht blöde! Faust. Du hörest ja, von Freud' ist nicht die Rede. Dem Taumel weih' ich mich, dem schmerzlichsten Genuß, Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß. Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist, Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen, Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist, Will ich in meinem innern Selbst genießen, Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen, Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen, Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern, Und, wie sie selbst, am End' auch ich zerscheitern. Mephistopheles. O glaube mir, der manche tausend Jahre An dieser harten Speise kaut, Daß von der Wiege bis zur Bahre Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut! Glaub' unser einem, dieses Ganze
Beliebt’s euch uͤberall zu naſchen, Im Fliehen etwas zu erhaſchen; Bekomm’ euch wohl was euch ergetzt. Nur greift mir zu und ſeyd nicht bloͤde! Fauſt. Du hoͤreſt ja, von Freud’ iſt nicht die Rede. Dem Taumel weih’ ich mich, dem ſchmerzlichſten Genuß, Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß. Mein Buſen, der vom Wiſſensdrang geheilt iſt, Soll keinen Schmerzen kuͤnftig ſich verſchließen, Und was der ganzen Menſchheit zugetheilt iſt, Will ich in meinem innern Selbſt genießen, Mit meinem Geiſt das Hoͤchſt’ und Tiefſte greifen, Ihr Wohl und Weh auf meinen Buſen haͤufen, Und ſo mein eigen Selbſt zu ihrem Selbſt erweitern, Und, wie ſie ſelbſt, am End’ auch ich zerſcheitern. Mephiſtopheles. O glaube mir, der manche tauſend Jahre An dieſer harten Speiſe kaut, Daß von der Wiege bis zur Bahre Kein Menſch den alten Sauerteig verdaut! Glaub’ unſer einem, dieſes Ganze <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#MEP"> <p><pb facs="#f0116" n="110"/> Beliebt’s euch uͤberall zu naſchen,<lb/> Im Fliehen etwas zu erhaſchen;<lb/> Bekomm’ euch wohl was euch ergetzt.<lb/> Nur greift mir zu und ſeyd nicht bloͤde!</p> </sp><lb/> <sp who="#FAU"> <speaker><hi rendition="#g">Fauſt</hi>.</speaker><lb/> <p>Du hoͤreſt ja, von Freud’ iſt nicht die Rede.<lb/> Dem Taumel weih’ ich mich, dem ſchmerzlichſten Genuß,<lb/> Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.<lb/> Mein Buſen, der vom Wiſſensdrang geheilt iſt,<lb/> Soll keinen Schmerzen kuͤnftig ſich verſchließen,<lb/> Und was der ganzen Menſchheit zugetheilt iſt,<lb/> Will ich in meinem innern Selbſt genießen,<lb/> Mit meinem Geiſt das Hoͤchſt’ und Tiefſte greifen,<lb/> Ihr Wohl und Weh auf meinen Buſen haͤufen,<lb/> Und ſo mein eigen Selbſt zu ihrem Selbſt erweitern,<lb/> Und, wie ſie ſelbſt, am End’ auch ich zerſcheitern.</p> </sp><lb/> <sp who="#MEP"> <speaker><hi rendition="#g">Mephiſtopheles</hi>.</speaker><lb/> <p>O glaube mir, der manche tauſend Jahre<lb/> An dieſer harten Speiſe kaut,<lb/> Daß von der Wiege bis zur Bahre<lb/> Kein Menſch den alten Sauerteig verdaut!<lb/> Glaub’ unſer einem, dieſes Ganze<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0116]
Beliebt’s euch uͤberall zu naſchen,
Im Fliehen etwas zu erhaſchen;
Bekomm’ euch wohl was euch ergetzt.
Nur greift mir zu und ſeyd nicht bloͤde!
Fauſt.
Du hoͤreſt ja, von Freud’ iſt nicht die Rede.
Dem Taumel weih’ ich mich, dem ſchmerzlichſten Genuß,
Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
Mein Buſen, der vom Wiſſensdrang geheilt iſt,
Soll keinen Schmerzen kuͤnftig ſich verſchließen,
Und was der ganzen Menſchheit zugetheilt iſt,
Will ich in meinem innern Selbſt genießen,
Mit meinem Geiſt das Hoͤchſt’ und Tiefſte greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Buſen haͤufen,
Und ſo mein eigen Selbſt zu ihrem Selbſt erweitern,
Und, wie ſie ſelbſt, am End’ auch ich zerſcheitern.
Mephiſtopheles.
O glaube mir, der manche tauſend Jahre
An dieſer harten Speiſe kaut,
Daß von der Wiege bis zur Bahre
Kein Menſch den alten Sauerteig verdaut!
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808/116>, abgerufen am 16.08.2024. |