Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite
Aber ach! schon fühl' ich, bey dem besten Willen,
Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
Und wir wieder im Durste liegen?
Davon hab' ich so viel Erfahrung.
Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen,
Wir lernen das Ueberirdische schätzen,
Wir sehnen uns nach Offenbarung,
Die nirgends würd'ger und schöner brennt,
Als in dem neuen Testament.
Mich drängt's den Grundtext aufzuschlagen,
Mit redlichem Gefühl einmal
Das heilige Original
In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.

Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.
Geschrieben steht: "im Anfang war das Wort!"
Hier stock' ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Aber ach! ſchon fuͤhl’ ich, bey dem beſten Willen,
Befriedigung nicht mehr aus dem Buſen quillen.
Aber warum muß der Strom ſo bald verſiegen,
Und wir wieder im Durſte liegen?
Davon hab’ ich ſo viel Erfahrung.
Doch dieſer Mangel laͤßt ſich erſetzen,
Wir lernen das Ueberirdiſche ſchaͤtzen,
Wir ſehnen uns nach Offenbarung,
Die nirgends wuͤrd’ger und ſchoͤner brennt,
Als in dem neuen Teſtament.
Mich draͤngt’s den Grundtext aufzuſchlagen,
Mit redlichem Gefuͤhl einmal
Das heilige Original
In mein geliebtes Deutſch zu uͤbertragen.

Er ſchlaͤgt ein Volum auf und ſchickt ſich an.
Geſchrieben ſteht: “im Anfang war das Wort!”
Hier ſtock’ ich ſchon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort ſo hoch unmoͤglich ſchaͤtzen,
Ich muß es anders uͤberſetzen,
Wenn ich vom Geiſte recht erleuchtet bin.
Geſchrieben ſteht: im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erſte Zeile,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#FAU">
            <p><pb facs="#f0086" n="80"/>
Aber ach! &#x017F;chon fu&#x0364;hl&#x2019; ich, bey dem be&#x017F;ten Willen,<lb/>
Befriedigung nicht mehr aus dem Bu&#x017F;en quillen.<lb/>
Aber warum muß der Strom &#x017F;o bald ver&#x017F;iegen,<lb/>
Und wir wieder im Dur&#x017F;te liegen?<lb/>
Davon hab&#x2019; ich &#x017F;o viel Erfahrung.<lb/>
Doch die&#x017F;er Mangel la&#x0364;ßt &#x017F;ich er&#x017F;etzen,<lb/>
Wir lernen das Ueberirdi&#x017F;che &#x017F;cha&#x0364;tzen,<lb/>
Wir &#x017F;ehnen uns nach Offenbarung,<lb/>
Die nirgends wu&#x0364;rd&#x2019;ger und &#x017F;cho&#x0364;ner brennt,<lb/>
Als in dem neuen Te&#x017F;tament.<lb/>
Mich dra&#x0364;ngt&#x2019;s den Grundtext aufzu&#x017F;chlagen,<lb/>
Mit redlichem Gefu&#x0364;hl einmal<lb/>
Das heilige Original<lb/>
In mein geliebtes Deut&#x017F;ch zu u&#x0364;bertragen.</p><lb/>
            <stage> <hi rendition="#et">Er &#x017F;chla&#x0364;gt ein Volum auf und &#x017F;chickt &#x017F;ich an.</hi> </stage><lb/>
            <p>Ge&#x017F;chrieben &#x017F;teht: &#x201C;im Anfang war das <hi rendition="#g">Wort</hi>!&#x201D;<lb/>
Hier &#x017F;tock&#x2019; ich &#x017F;chon! Wer hilft mir weiter fort?<lb/>
Ich kann das <hi rendition="#g">Wort</hi> &#x017F;o hoch unmo&#x0364;glich &#x017F;cha&#x0364;tzen,<lb/>
Ich muß es anders u&#x0364;ber&#x017F;etzen,<lb/>
Wenn ich vom Gei&#x017F;te recht erleuchtet bin.<lb/>
Ge&#x017F;chrieben &#x017F;teht: im Anfang war der <hi rendition="#g">Sinn</hi>.<lb/>
Bedenke wohl die er&#x017F;te Zeile,<lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0086] Aber ach! ſchon fuͤhl’ ich, bey dem beſten Willen, Befriedigung nicht mehr aus dem Buſen quillen. Aber warum muß der Strom ſo bald verſiegen, Und wir wieder im Durſte liegen? Davon hab’ ich ſo viel Erfahrung. Doch dieſer Mangel laͤßt ſich erſetzen, Wir lernen das Ueberirdiſche ſchaͤtzen, Wir ſehnen uns nach Offenbarung, Die nirgends wuͤrd’ger und ſchoͤner brennt, Als in dem neuen Teſtament. Mich draͤngt’s den Grundtext aufzuſchlagen, Mit redlichem Gefuͤhl einmal Das heilige Original In mein geliebtes Deutſch zu uͤbertragen. Er ſchlaͤgt ein Volum auf und ſchickt ſich an. Geſchrieben ſteht: “im Anfang war das Wort!” Hier ſtock’ ich ſchon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort ſo hoch unmoͤglich ſchaͤtzen, Ich muß es anders uͤberſetzen, Wenn ich vom Geiſte recht erleuchtet bin. Geſchrieben ſteht: im Anfang war der Sinn. Bedenke wohl die erſte Zeile,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808/86
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808/86>, abgerufen am 28.11.2024.