Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Schauspiel.
Iphigenie.
Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt
Pylades.
Zu strenge Ford'rung ist verborgner Stolz.
Iphigenie.
Ich untersuche nicht, ich fühle nur.
Pylades.
Fühlst du dich recht, so mußt du dich verehren.
Iphigenie.
Ganz unbefleckt genießt sich nur das Herz.
Pylades.
So hast du dich im Tempel wohl bewahrt;
Das Leben lehrt uns, weniger mit uns
Und andern strenge seyn; du lernst es auch.
So wunderbar ist dieß Geschlecht gebildet;
So vielfach ist's verschlungen und verknüpft,
Daß keiner in sich selbst, noch mit den andern
Sich rein und unverworren halten kann.
Auch sind wir nicht bestellt uns selbst zu richten;
Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen
Ein Schauſpiel.
Iphigenie.
Allein mein eigen Herz iſt nicht befriedigt
Pylades.
Zu ſtrenge Ford’rung iſt verborgner Stolz.
Iphigenie.
Ich unterſuche nicht, ich fühle nur.
Pylades.
Fühlſt du dich recht, ſo mußt du dich verehren.
Iphigenie.
Ganz unbefleckt genießt ſich nur das Herz.
Pylades.
So haſt du dich im Tempel wohl bewahrt;
Das Leben lehrt uns, weniger mit uns
Und andern ſtrenge ſeyn; du lernſt es auch.
So wunderbar iſt dieß Geſchlecht gebildet;
So vielfach iſt’s verſchlungen und verknüpft,
Daß keiner in ſich ſelbſt, noch mit den andern
Sich rein und unverworren halten kann.
Auch ſind wir nicht beſtellt uns ſelbſt zu richten;
Zu wandeln und auf ſeinen Weg zu ſehen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0110" n="101"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ein Schau&#x017F;piel</hi>.</fw><lb/>
            <sp who="#IPH">
              <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Iphigenie</hi>.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Allein mein eigen Herz i&#x017F;t nicht befriedigt</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#PYL">
              <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Pylades</hi>.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Zu &#x017F;trenge Ford&#x2019;rung i&#x017F;t verborgner Stolz.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#IPH">
              <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Iphigenie</hi>.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Ich unter&#x017F;uche nicht, ich fühle nur.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#PYL">
              <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Pylades</hi>.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Fühl&#x017F;t du dich recht, &#x017F;o mußt du dich verehren.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#IPH">
              <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Iphigenie</hi>.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Ganz unbefleckt genießt &#x017F;ich nur das Herz.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#PYL">
              <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Pylades</hi>.</hi> </speaker><lb/>
              <p>So ha&#x017F;t du dich im Tempel wohl bewahrt;<lb/>
Das Leben lehrt uns, weniger mit uns<lb/>
Und andern &#x017F;trenge &#x017F;eyn; du lern&#x017F;t es auch.<lb/>
So wunderbar i&#x017F;t dieß Ge&#x017F;chlecht gebildet;<lb/>
So vielfach i&#x017F;t&#x2019;s ver&#x017F;chlungen und verknüpft,<lb/>
Daß keiner in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, noch mit den andern<lb/>
Sich rein und unverworren halten kann.<lb/>
Auch &#x017F;ind wir nicht be&#x017F;tellt uns &#x017F;elb&#x017F;t zu richten;<lb/>
Zu wandeln und auf &#x017F;einen Weg zu &#x017F;ehen<lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0110] Ein Schauſpiel. Iphigenie. Allein mein eigen Herz iſt nicht befriedigt Pylades. Zu ſtrenge Ford’rung iſt verborgner Stolz. Iphigenie. Ich unterſuche nicht, ich fühle nur. Pylades. Fühlſt du dich recht, ſo mußt du dich verehren. Iphigenie. Ganz unbefleckt genießt ſich nur das Herz. Pylades. So haſt du dich im Tempel wohl bewahrt; Das Leben lehrt uns, weniger mit uns Und andern ſtrenge ſeyn; du lernſt es auch. So wunderbar iſt dieß Geſchlecht gebildet; So vielfach iſt’s verſchlungen und verknüpft, Daß keiner in ſich ſelbſt, noch mit den andern Sich rein und unverworren halten kann. Auch ſind wir nicht beſtellt uns ſelbſt zu richten; Zu wandeln und auf ſeinen Weg zu ſehen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/110
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/110>, abgerufen am 24.11.2024.