Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

einer seiner Zunftgenossen durch die Frage zu
beschämen gedachte: wer denn eigentlich sein
Beichtvater sey? Mit Heiterkeit und Ver¬
trauen auf seine gute Sache erwiederte jener:
Ich habe einen sehr vornehmen; es ist nie¬
mand geringeres als der Beichtvater des
Königs David.

Dieses und dergleichen mag wohl Ein¬
druck auf den Knaben gemacht und ihn zu
ähnlichen Gesinnungen aufgefordert haben.
Genug, er kam auf den Gedanken, sich dem
großen Gotte der Natur, dem Schöpfer und
Erhalter Himmels und der Erden, dessen
frühere Zorn-Aeußerungen schon lange über
die Schönheit der Welt und das mannigfal¬
tige Gute, das uns darin zu Theil wird,
vergessen waren, unmittelbar zu nähern; der
Weg dazu aber war sehr sonderbar.

Der Knabe hatte sich überhaupt an den
ersten Glaubensartikel gehalten. Der Gott,

einer ſeiner Zunftgenoſſen durch die Frage zu
beſchaͤmen gedachte: wer denn eigentlich ſein
Beichtvater ſey? Mit Heiterkeit und Ver¬
trauen auf ſeine gute Sache erwiederte jener:
Ich habe einen ſehr vornehmen; es iſt nie¬
mand geringeres als der Beichtvater des
Koͤnigs David.

Dieſes und dergleichen mag wohl Ein¬
druck auf den Knaben gemacht und ihn zu
aͤhnlichen Geſinnungen aufgefordert haben.
Genug, er kam auf den Gedanken, ſich dem
großen Gotte der Natur, dem Schoͤpfer und
Erhalter Himmels und der Erden, deſſen
fruͤhere Zorn-Aeußerungen ſchon lange uͤber
die Schoͤnheit der Welt und das mannigfal¬
tige Gute, das uns darin zu Theil wird,
vergeſſen waren, unmittelbar zu naͤhern; der
Weg dazu aber war ſehr ſonderbar.

Der Knabe hatte ſich uͤberhaupt an den
erſten Glaubensartikel gehalten. Der Gott,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0100" n="84"/>
einer &#x017F;einer Zunftgeno&#x017F;&#x017F;en durch die Frage zu<lb/>
be&#x017F;cha&#x0364;men gedachte: wer denn eigentlich &#x017F;ein<lb/>
Beichtvater &#x017F;ey? Mit Heiterkeit und Ver¬<lb/>
trauen auf &#x017F;eine gute Sache erwiederte jener:<lb/>
Ich habe einen &#x017F;ehr vornehmen; es i&#x017F;t nie¬<lb/>
mand geringeres als der Beichtvater des<lb/>
Ko&#x0364;nigs David.</p><lb/>
      <p>Die&#x017F;es und dergleichen mag wohl Ein¬<lb/>
druck auf den Knaben gemacht und ihn zu<lb/>
a&#x0364;hnlichen Ge&#x017F;innungen aufgefordert haben.<lb/>
Genug, er kam auf den Gedanken, &#x017F;ich dem<lb/>
großen Gotte der Natur, dem Scho&#x0364;pfer und<lb/>
Erhalter Himmels und der Erden, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
fru&#x0364;here Zorn-Aeußerungen &#x017F;chon lange u&#x0364;ber<lb/>
die Scho&#x0364;nheit der Welt und das mannigfal¬<lb/>
tige Gute, das uns darin zu Theil wird,<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en waren, unmittelbar zu na&#x0364;hern; der<lb/>
Weg dazu aber war &#x017F;ehr &#x017F;onderbar.</p><lb/>
      <p>Der Knabe hatte &#x017F;ich u&#x0364;berhaupt an den<lb/>
er&#x017F;ten Glaubensartikel gehalten. Der Gott,<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0100] einer ſeiner Zunftgenoſſen durch die Frage zu beſchaͤmen gedachte: wer denn eigentlich ſein Beichtvater ſey? Mit Heiterkeit und Ver¬ trauen auf ſeine gute Sache erwiederte jener: Ich habe einen ſehr vornehmen; es iſt nie¬ mand geringeres als der Beichtvater des Koͤnigs David. Dieſes und dergleichen mag wohl Ein¬ druck auf den Knaben gemacht und ihn zu aͤhnlichen Geſinnungen aufgefordert haben. Genug, er kam auf den Gedanken, ſich dem großen Gotte der Natur, dem Schoͤpfer und Erhalter Himmels und der Erden, deſſen fruͤhere Zorn-Aeußerungen ſchon lange uͤber die Schoͤnheit der Welt und das mannigfal¬ tige Gute, das uns darin zu Theil wird, vergeſſen waren, unmittelbar zu naͤhern; der Weg dazu aber war ſehr ſonderbar. Der Knabe hatte ſich uͤberhaupt an den erſten Glaubensartikel gehalten. Der Gott,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/100
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/100>, abgerufen am 21.11.2024.