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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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sönlichkeit des großen Königs, die auf alle
Gemüther wirkte. Ich freute mich mit dem
Vater unserer Siege, schrieb sehr gern die
Siegslieder ab, und fast noch lieber die
Spottlieder auf die Gegenpartey, so platt
die Reime auch seyn mochten.

Als ältester Enkel und Pathe hatte ich
seit meiner Kindheit jeden Sonntag bey den
Großältern gespeist: es waren meine vergnüg¬
testen Stunden der ganzen Woche. Aber
nun wollte mir kein Bissen mehr schmecken:
denn ich mußte meinen Helden aufs gräu¬
lichste verläumden hören. Hier wehte ein an¬
derer Wind, hier klang ein anderer Ton als
zu Hause. Die Neigung, ja die Verehrung
für meine Großältern nahm ab. Bey den
Aeltern durfte ich nichts davon erwähnen;
ich unterließ es aus eigenem Gefühl und
auch weil die Mutter mich gewarnt hatte.
Dadurch war ich auf mich selbst zurück¬
gewiesen, und wie mir in meinem sechsten

ſoͤnlichkeit des großen Koͤnigs, die auf alle
Gemuͤther wirkte. Ich freute mich mit dem
Vater unſerer Siege, ſchrieb ſehr gern die
Siegslieder ab, und faſt noch lieber die
Spottlieder auf die Gegenpartey, ſo platt
die Reime auch ſeyn mochten.

Als aͤlteſter Enkel und Pathe hatte ich
ſeit meiner Kindheit jeden Sonntag bey den
Großaͤltern geſpeiſt: es waren meine vergnuͤg¬
teſten Stunden der ganzen Woche. Aber
nun wollte mir kein Biſſen mehr ſchmecken:
denn ich mußte meinen Helden aufs graͤu¬
lichſte verlaͤumden hoͤren. Hier wehte ein an¬
derer Wind, hier klang ein anderer Ton als
zu Hauſe. Die Neigung, ja die Verehrung
fuͤr meine Großaͤltern nahm ab. Bey den
Aeltern durfte ich nichts davon erwaͤhnen;
ich unterließ es aus eigenem Gefuͤhl und
auch weil die Mutter mich gewarnt hatte.
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[95/0111] ſoͤnlichkeit des großen Koͤnigs, die auf alle Gemuͤther wirkte. Ich freute mich mit dem Vater unſerer Siege, ſchrieb ſehr gern die Siegslieder ab, und faſt noch lieber die Spottlieder auf die Gegenpartey, ſo platt die Reime auch ſeyn mochten. Als aͤlteſter Enkel und Pathe hatte ich ſeit meiner Kindheit jeden Sonntag bey den Großaͤltern geſpeiſt: es waren meine vergnuͤg¬ teſten Stunden der ganzen Woche. Aber nun wollte mir kein Biſſen mehr ſchmecken: denn ich mußte meinen Helden aufs graͤu¬ lichſte verlaͤumden hoͤren. Hier wehte ein an¬ derer Wind, hier klang ein anderer Ton als zu Hauſe. Die Neigung, ja die Verehrung fuͤr meine Großaͤltern nahm ab. Bey den Aeltern durfte ich nichts davon erwaͤhnen; ich unterließ es aus eigenem Gefuͤhl und auch weil die Mutter mich gewarnt hatte. Dadurch war ich auf mich ſelbſt zuruͤck¬ gewieſen, und wie mir in meinem ſechſten

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/111>, abgerufen am 21.11.2024.