ungestört zu Hause der preußischen Siege, welche gewöhnlich durch jene leidenschaftliche Tante mit großem Jubel verkündigt wur¬ den. Alles andere Interesse mußte diesem weichen, und wir brachten den Ueberrest des Jahres in beständiger Agitation zu. Die Besitznahme von Dresden, die anfängliche Mäßigung des Königs, die zwar langsamen aber sichern Fortschritte, der Sieg bey Lowo¬ sitz, die Gefangennehmung der Sachsen waren für unsere Partey eben so viele Triumphe. Alles was zum Vortheil der Gegner ange¬ führt werden konnte, wurde geläugnet oder verkleinert, und da die entgegengesetzten Fami¬ lienglieder das Gleiche thaten; so konnten sie einander nicht auf der Straße begegnen, ohne daß es Händel setzte, wie in Romeo und Julie.
Und so war ich denn auch Preußisch, oder um richtiger zu reden, Fritzisch gesinnt: denn was ging uns Preußen an. Es war die Per¬
ungeſtoͤrt zu Hauſe der preußiſchen Siege, welche gewoͤhnlich durch jene leidenſchaftliche Tante mit großem Jubel verkuͤndigt wur¬ den. Alles andere Intereſſe mußte dieſem weichen, und wir brachten den Ueberreſt des Jahres in beſtaͤndiger Agitation zu. Die Beſitznahme von Dresden, die anfaͤngliche Maͤßigung des Koͤnigs, die zwar langſamen aber ſichern Fortſchritte, der Sieg bey Lowo¬ ſitz, die Gefangennehmung der Sachſen waren fuͤr unſere Partey eben ſo viele Triumphe. Alles was zum Vortheil der Gegner ange¬ fuͤhrt werden konnte, wurde gelaͤugnet oder verkleinert, und da die entgegengeſetzten Fami¬ lienglieder das Gleiche thaten; ſo konnten ſie einander nicht auf der Straße begegnen, ohne daß es Haͤndel ſetzte, wie in Romeo und Julie.
Und ſo war ich denn auch Preußiſch, oder um richtiger zu reden, Fritziſch geſinnt: denn was ging uns Preußen an. Es war die Per¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0110"n="94"/>
ungeſtoͤrt zu Hauſe der preußiſchen Siege,<lb/>
welche gewoͤhnlich durch jene leidenſchaftliche<lb/>
Tante mit großem Jubel verkuͤndigt wur¬<lb/>
den. Alles andere Intereſſe mußte dieſem<lb/>
weichen, und wir brachten den Ueberreſt des<lb/>
Jahres in beſtaͤndiger Agitation zu. Die<lb/>
Beſitznahme von Dresden, die anfaͤngliche<lb/>
Maͤßigung des Koͤnigs, die zwar langſamen<lb/>
aber ſichern Fortſchritte, der Sieg bey Lowo¬<lb/>ſitz, die Gefangennehmung der Sachſen waren<lb/>
fuͤr unſere Partey eben ſo viele Triumphe.<lb/>
Alles was zum Vortheil der Gegner ange¬<lb/>
fuͤhrt werden konnte, wurde gelaͤugnet oder<lb/>
verkleinert, und da die entgegengeſetzten Fami¬<lb/>
lienglieder das Gleiche thaten; ſo konnten<lb/>ſie einander nicht auf der Straße begegnen,<lb/>
ohne daß es Haͤndel ſetzte, wie in Romeo<lb/>
und Julie.</p><lb/><p>Und ſo war ich denn auch Preußiſch, oder<lb/>
um richtiger zu reden, Fritziſch geſinnt: denn<lb/>
was ging uns Preußen an. Es war die Per¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[94/0110]
ungeſtoͤrt zu Hauſe der preußiſchen Siege,
welche gewoͤhnlich durch jene leidenſchaftliche
Tante mit großem Jubel verkuͤndigt wur¬
den. Alles andere Intereſſe mußte dieſem
weichen, und wir brachten den Ueberreſt des
Jahres in beſtaͤndiger Agitation zu. Die
Beſitznahme von Dresden, die anfaͤngliche
Maͤßigung des Koͤnigs, die zwar langſamen
aber ſichern Fortſchritte, der Sieg bey Lowo¬
ſitz, die Gefangennehmung der Sachſen waren
fuͤr unſere Partey eben ſo viele Triumphe.
Alles was zum Vortheil der Gegner ange¬
fuͤhrt werden konnte, wurde gelaͤugnet oder
verkleinert, und da die entgegengeſetzten Fami¬
lienglieder das Gleiche thaten; ſo konnten
ſie einander nicht auf der Straße begegnen,
ohne daß es Haͤndel ſetzte, wie in Romeo
und Julie.
Und ſo war ich denn auch Preußiſch, oder
um richtiger zu reden, Fritziſch geſinnt: denn
was ging uns Preußen an. Es war die Per¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/110>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.