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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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tig werden, weil ich immer die Kleidungs¬
stücke verwechselte, und weil mir immer das
erste vom Leibe fiel, wenn ich das zweyte
umzunehmen gedachte. In dieser großen Ver¬
legenheit trat ein junger schöner Mann zu
mir und begrüßte mich aufs freundlichste.
Ey, seyd mir willkommen! sagte ich: es ist
mir ja gar lieb, daß ich Euch hier sehe. --
"Kennt Ihr mich denn?" versetzte jener lä¬
chelnd. -- Warum nicht? war meine gleich¬
falls lächelnde Antwort. Ihr seyd Merkur,
und ich habe Euch oft genug abgebildet ge¬
sehen. -- "Das bin ich, sagte jener, und
von den Göttern mit einem wichtigen Auf¬
trag an dich gesandt. Siehst du diese drey
Aepfel?" -- Er reichte seine Hand her und
zeigte mir drey Aepfel, die sie kaum fassen
konnte, und die eben so wundersam schön als
groß waren, und zwar der eine von rother,
der andere von gelber, der dritte von grüner
Farbe. Man mußte sie für Edelsteine hal¬
ten, denen man die Form von Früchten ge¬

tig werden, weil ich immer die Kleidungs¬
ſtuͤcke verwechſelte, und weil mir immer das
erſte vom Leibe fiel, wenn ich das zweyte
umzunehmen gedachte. In dieſer großen Ver¬
legenheit trat ein junger ſchoͤner Mann zu
mir und begruͤßte mich aufs freundlichſte.
Ey, ſeyd mir willkommen! ſagte ich: es iſt
mir ja gar lieb, daß ich Euch hier ſehe. —
„Kennt Ihr mich denn?“ verſetzte jener laͤ¬
chelnd. — Warum nicht? war meine gleich¬
falls laͤchelnde Antwort. Ihr ſeyd Merkur,
und ich habe Euch oft genug abgebildet ge¬
ſehen. — „Das bin ich, ſagte jener, und
von den Goͤttern mit einem wichtigen Auf¬
trag an dich geſandt. Siehſt du dieſe drey
Aepfel?“ — Er reichte ſeine Hand her und
zeigte mir drey Aepfel, die ſie kaum faſſen
konnte, und die eben ſo wunderſam ſchoͤn als
groß waren, und zwar der eine von rother,
der andere von gelber, der dritte von gruͤner
Farbe. Man mußte ſie fuͤr Edelſteine hal¬
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[106/0122] tig werden, weil ich immer die Kleidungs¬ ſtuͤcke verwechſelte, und weil mir immer das erſte vom Leibe fiel, wenn ich das zweyte umzunehmen gedachte. In dieſer großen Ver¬ legenheit trat ein junger ſchoͤner Mann zu mir und begruͤßte mich aufs freundlichſte. Ey, ſeyd mir willkommen! ſagte ich: es iſt mir ja gar lieb, daß ich Euch hier ſehe. — „Kennt Ihr mich denn?“ verſetzte jener laͤ¬ chelnd. — Warum nicht? war meine gleich¬ falls laͤchelnde Antwort. Ihr ſeyd Merkur, und ich habe Euch oft genug abgebildet ge¬ ſehen. — „Das bin ich, ſagte jener, und von den Goͤttern mit einem wichtigen Auf¬ trag an dich geſandt. Siehſt du dieſe drey Aepfel?“ — Er reichte ſeine Hand her und zeigte mir drey Aepfel, die ſie kaum faſſen konnte, und die eben ſo wunderſam ſchoͤn als groß waren, und zwar der eine von rother, der andere von gelber, der dritte von gruͤner Farbe. Man mußte ſie fuͤr Edelſteine hal¬ ten, denen man die Form von Fruͤchten ge¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/122>, abgerufen am 21.11.2024.